Ravensburg for future

Wo Klima Regionssache wird

vom 14. Jul 2020
Autor: Sandra Huth
Fotos: Anja Köhler, Green City Experience
© Anja Köhler
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35 Köpfe arbeiten derzeit an „Ravensburg for Future“. So könnte man die Ravensburger Klimakommission auch nennen. Wobei hier nicht auf dem Marienplatz demonstriert wird! Es geht ans Eingemachte. Ganz konkret wird globaler Klimaschutz auf Maßnahmen in unserer Region heruntergebrochen. Veerle Buytaert, Leiterin des Ravensburger Umweltamtes, und OB Daniel Rapp sind zwei dieser Köpfe.
Herr Oberbürgermeister Rapp, die Klima­kommission wurde ins Leben gerufen, um sich auf regionaler Ebene der „Herausforderung Klimawandel“ zu stellen. Das Ziel: Klimakonsens! – Was heißt das eigentlich für uns im Schussental?

Niemand kann den Klimawandel heute noch bestreiten. Es wird immer deutlicher, dass unser Leben, unsere Tiere und Pflanzen sowie unser Eigentum ernsthaft bedroht sind. Auf allen Ebenen muss was getan werden. Auch als Stadt haben wir konkrete Möglichkeiten, uns vor Ort der Herausforderung zu stellen. Auf der Suche nach pragmatischen Lösungen hat der Gemeinderat sich dafür entschieden, eine temporäre Klimakommission einzuberufen, die aus zentralen Akteuren der Stadtgesellschaft aus den Bereichen Politik, Verwaltung und Wirtschaft sowie aus Verbänden, NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) und der Bürgerschaft einzuberufen. Diese soll bis zum Sommer einen Vorschlag für einen Klimakonsens ausarbeiten. Er soll zum einen Ziele benennen, an denen sich die Stadt künftig orientiert und misst. Zum anderen sollen praktische Maßnahmen enthalten sein, die zügig gemeinsam umgesetzt werden. Im Fokus des Klimakonsenses stehen die Handlungsfelder Gebäude, Mobilität, Kompensation und Bewusstseinsbildung. Das Ergebnis soll dem Gemeinderat Ravensburg im Juli 2020 zum Beschluss vorgelegt werden. Danach gilt es, die Maßnahmen umzusetzen.

Gibt es in jeder Stadt so eine Klimakommission – oder wie kam es dazu?

Diese Vorgehensweise ist einmalig in Deutschland und zeigt die große Bereitschaft der lokalen Politik, sich dem Thema ernsthaft zu widmen. Die Fridays-For-Future-Bewegung hat auch hier in Ravensburg die Politik unter Druck gesetzt und eine rege Diskussion im Gemeinderat ausgelöst. Während viele Städte und Gemeinden den Klimanotstand ausgerufen haben und aktuell dabei sind herauszufinden, wie man dies konkret umsetzen kann, wurde in Ravensburg entschieden, den direkten Weg mit der Klimakommission zum Klimakonsens zu gehen.

38 Jahre, Ingenieurin für Umweltwissenschaften (M. Sc.), begeisterte Radfahrerin und engagierte Bio-Gärtnerin. In drei Worten: empathisch, belgisch, mutig. 

Veerle Buytaert
Leiterin Umweltamt der Stadt Ravensburg

Frau Buytaert, Sie leiten das Ravensburger Umweltamt. Vor einem Jahr gab es dieses Amt noch nicht einmal. Es tut sich also einiges im Schussental. Können Sie bereits erste Erfolge verzeichnen?

Eine gute Aufstellung innerhalb der Stadtverwaltung ist eine unabdingbare Voraussetzung, um die vielseitigen und komplexen Aufgaben, die uns der Klimawandel stellt, zu meistern. Die Zusammenlegung der verschiedenen Kompetenzbereiche im neuen Amt erlaubt uns, unsere Strategien und Projekte gemeinsam zu gestalten, und somit die Effizienz, Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit der Stadtverwaltung sowie des Gemeindeverbandes Mittleres Schussental erheblich zu vergrößern. Es erlaubt uns ebenso eine stärkere Wirkung nach außen und eine klare Orientierung für Bürger, Wirtschaft und Institutionen.

Viele Maßnahmen wurden inzwischen bereits umgesetzt. So versuchen wir auf allen Ebenen unsere Vorbildfunktion als Kommune auszuüben und für Bürgerinnen und Bürger den notwendigen Rahmen für ein klimafreundlicheres Verhalten zu schaffen. Projekte wie das Streuobstkonzept der Stadt Ravensburg zur Erhaltung und Pflege der ökologisch wertvollen Streuobstwiesen oder der Ausbau des Pedelecverleihsystems tws.rad im Schussental für Bürger, Pendler und Besucher zeigen bereits, wie sich die Themen in der Region sinnvoll umsetzen lassen. Die Entwicklung des Verkehrsentwicklungsplans 2030 sowie das Radverkehrskonzept für das Mittlere Schussental bilden die Grundlage für den Ausbau umweltschonender Mobilität. Für Verwaltungsmitarbeiter, Schulen sowie Bürgerinnen und Bürger werden Umweltbildungsmaßnahmen angeboten. Außerdem wurde die neue Website – www.gmschussental.de – mit Informationen zu Projekten und Veranstaltungen eingerichtet.

Gemeinsam für unser Schussental: 35 Vertreter aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Verbänden, NGOs und der Bürgerschaft erarbeiten derzeit einen Vorschlag für einen Klimakonsens. © Green City Experience
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Bei all den guten Taten für die Natur hört man in diesen Zeiten auch viele Zweifler, die fragen: „Hat man beim Wiederankurbeln der Wirtschaft nichts Besseres zu tun, als sich ums Klima zu kümmern?“ – Wie denken Sie darüber?

Mit der Coronakrise verschwinden nicht einfach andere, bereits bestehende Herausforderungen der Menschheit. Ganz im Gegenteil: Corona schärft noch einmal den Blick auf grundlegende Bedrohungen wie den Klimawandel und das Artensterben sowie die Notwendigkeit, hier nun endlich und entschieden zu handeln. Im Nachklang der Coronakrise müssen wir die Klimakrise also mitdenken. Wir sind zu dem Punkt gekommen, an dem sich die Frage stellt, wie wir Gesellschaften und Ökonomien wieder aufbauen können. Es ist eine einmalige Chance, dies unter ökologischen Gesichtspunkten zu tun. Wir wären schlecht beraten, diese Chance nicht auszunutzen.

Und doch kann Veränderung recht unbequem sein. Gewohnheiten müssen umgestellt, Geld in die Hand genommen werden. Die Erfolge von Klimamaßnahmen sind meist schwer messbar – und der unmittelbare Nutzen für jeden Einzelnen zunächst unsichtbar. Wie schaffen Sie es dennoch, dass Politik, Bürger und Unternehmen diesen großartigen und dennoch unbequemen Weg gemeinsam meistern?

Umweltbewusst zu sein ist gar nicht so schwer, wie es klingt. Zudem ist es perfekt möglich, dies ohne Verlust an Lebensqualität zu sein oder damit sogar die Lebensqualität zu steigern! Uns ist es wichtig, nicht mit dem erhobenen Zeigefinger Missstände aufzuzeigen oder durch Verbote Verhaltensänderungen zu bewirken, sondern Bürgerinnen und Bürger sowie Politik und Unternehmen auf konkrete Möglichkeiten zum Klimaschutz hinzuweisen. Bewusster leben und konsumieren soll einfacher werden und attraktiv sein. Dazu spielt allerdings auch die Politik auf höheren Ebenen eine wichtige Rolle.

Veränderung heißt auch Umdenken. Haben Sie den Eindruck, die Bürger im Schussental sind bereit, sich aktiv zu beteiligen?

Ich habe das Gefühl, dass das Schussental mit vielen engagierten Menschen gesegnet ist. Einen deutlichen Beweis dafür liefern die vielen lokalen Bürgergruppen und Initiativen. Viele Menschen nehmen Klimaveränderungen wahr und versuchen, ihr Verhalten zu ändern. Das ist äußerst wichtig für den Klimaschutz. Denn um unsere Klimaschutzziele zu erreichen, ist nicht nur das Engagement der öffentlichen Hand, sondern von allen gesellschaftlichen Akteuren entscheidend. Rund ein Drittel der Treibhausgasemissionen im Schussen­tal werden durch private Haushalte verursacht. Jede und jeder von uns kann in seinem Umfeld wertvolle Beiträge leisten – und mögen sie noch so bescheiden sein. Erst die Summe der vielen kleinen und großen Maßnahmen wird die Kraft entfalten, die nötig ist, um das Klima in einem für unsere moderne Zivilisation notwendigen Rahmen zu stabilisieren.

Aktive Beteiligung: In Sitzungen, bei Exkursionen und Workshops werden Ziele und praktische Maßnahmen für die Handlungsfelder Gebäude Mobilität Kompensation und Bewusstseinsbildung gemeinsam erarbeitet. © Green City Experience

Wie könnte zum Beispiel ich die Zukunft im Schussental mitgestalten?

Es sind oft die einfachen und alltäglichen Dinge, die am Ende was ausmachen: zum Beispiel das Auto öfter stehen lassen und aufs Fahrrad steigen. Als Konsument treffen wir jeden Tag Entscheidungen. So kann man darauf achten, möglichst fair gehandelte, saisonale und regionale Produkte zu kaufen, selbstverständlich möglichst ohne Verpackung. Regionalen Ökostrom beziehen, weniger Fleisch essen und Flugreisen vermeiden sind ebenso einfache und effektive Maßnahmen.

Wir freuen uns selbstverständlich immer sehr, wenn Bürgerinnen und Bürger sich an unseren Klimaschutzprojekten beteiligen möchten. Aktuelle Projekte und Beteiligungsmöglichkeiten werden auf der Webseite des Gemeindeverbandes angezeigt.

Wir haben Sie als mutige Anpackerin kennengelernt, Frau Buytaert. Was ist Ihre persönliche Vision, wenn Sie Ravensburg in 30 Jahren sehen?

Meine persönliche Vision für Ravensburg in 2050 ist, dass die Stadt ihre Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz konsequent weitergeführt hat und auf große Umwandlungserfolge zurückblicken kann. Die Stadt ist CO2-neutral, ressourceneffizient und klimaangepasst. Eine „smarte“ Stadt der kurzen Wege, schnell, umweltfreundlich und kostengünstig erreichbar für alle Generationen, sowohl was Mobilität als auch Information betrifft. Ein lebendiges Zentrum mit effizienten, bezahlbaren Wohnkonzepten und vielfältigen regionalen Angeboten für Produkte und Dienstleistungen. Eine lebenswerte Stadt mit viel Grün und mit viel Raum für Begegnung, Initiativen und Mitgestaltung.

48 Jahre, Jurist und passionierter Langbogenschütze. In drei Worten: leidenschaftlich, sozial, ambitioniert. 

Dr. Daniel Rapp
Oberbürgermeister der Stadt Ravensburg

Und wie sieht Ihr klimafreundliches Ravensburg der Zukunft aus, Herr Oberbürgermeister Rapp?

Unsere Bürgerinnen und Bürger sollen sich jederzeit wohlfühlen, und auch für Besucher muss die Stadt attraktiv sein. Der Klimawandel gefährdet dies. Zunehmende Hitzewellen und tropische Nächte werden in der Stadt stärker wahrgenommen. In der Innenstadt zum Beispiel liegt die Temperatur im Schnitt sechs Grad höher als außerhalb. Es ist daher wichtig, dass die Stadt nicht nur klimafreundlich, sondern auch klimaangepasst ist. Viel Grün und Schattenplätze sind wichtig sowie spürbares Wasser. Die Schussen ist ein großes Plus für Ravensburg. Es ist mir äußerst wichtig, dass wir dieses Potenzial nutzen und weiterentwickeln. In Zukunft soll zum Beispiel am Stadteingang vom Bahnhof bis zur Schussen ein attraktiver Aufenthaltsort mit hohem Naherholungspotenzial entstehen. So kann man sich an heißen Sommertagen auch prima in der Stadt aufhalten.

Wir danken Ihnen beiden für das Gespräch und wünschen viel Erfolg.

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