Im Fokus: Die Photovoltaik-Strategie der Stadt Ravensburg

Auf Höhe der Zeit sein

vom 12. Jul 2024
Autor: Stefan Blank
Fotos: Don Ailinger
© Don Ailinger
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Die Stadt Ravensburg will bis 2040 klimaneutral sein, so lautet der im Jahr 2020 vom Gemeinderat einstimmig beschlossene Klimakonsens. Der Plan dahinter umfasst mehrere Handlungsfelder und Maßnahmen. Diese sollen dazu beitragen, CO₂-Emissionen zu verringern und damit den Folgen des Klimawandels entgegenzuwirken. Die Stadtverwaltung hat dabei auf etwa 20 Prozent der CO2-Emissionen direkten Einfluss. Die weiteren 80 Prozent sollen zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Ravensburger Unternehmen verwirklicht werden. Denn klar ist: Nur gemeinsam kann das Ziel „Klimaneutralität“ erreicht werden. Ein wichtiger Baustein ist hier die Photovoltaik-Strategie, die gemeinsam mit der TWS als Partner der Stadt umgesetzt wird.

Wir sind mit zwei Spezialisten auf die Dächer gegangen und haben uns die Chancen und Möglichkeiten in Sachen Photovoltaik auf städtischen Gebäuden erklären lassen.

Der Klimakonsens der Stadt Ravensburg ist eine umfassende Vereinbarung, die 2020 verabschiedet wurde, um Ravensburg bis spätestens 2040 klimaneutral zu machen. Dieser Konsens wurde von einer Klimakommission erarbeitet, die aus Vertreter*innen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Vereinen und der Bürgerschaft bestand. Der Ergebnisbericht der Kommission wurde am 27. Juli 2020 einstimmig vom Gemeinderat beschlossen. Das Programm umfasst die Themen „Mobilität“, „Energie und Gebäude“, „Kompensation und Bewusstseinsbildung“ sowie „Anpassung an Klimafolgen“. Da geht es beispielsweise um die Verringerung der Anzahl von Pkw-Stellplätzen bei Neubauten und die gleichzeitige Förderung von Fahrrad- und Lastenradstellplätzen, um den kommunalen Wärmeplan, CO₂-Kompensation oder die Verbesserung der städtischen Grünflächen. Ein wichtiger Baustein ist die sogenannte „Photovoltaik-Strategie“. Dabei handelt es sich um die „Förderung der Installation von PV-Anlagen auf öffentlichen und privaten Gebäuden sowie die Nutzung von Freiflächen für Solaranlagen. Sowie die Vereinfachung der Genehmigungsprozesse und Einführung innovativer Konzepte wie Mieterstrom-Modellen und Balkon-PV-Anlagen“.

Ein zentrales Element der Strategie ist die Förderung der Installation von PV-Anlagen auf privaten Gebäuden. Ravensburg bietet hierzu Beratungsdienste und finanzielle Anreize, um Hauseigentümer*innen und Unternehmen zu motivieren, Anlagen auf ihren Dächern zu installieren. Darüber hinaus wird die Nutzung von Freiflächen für Solaranlagen ausgeweitet, um die Energieproduktion weiter zu steigern. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Vereinfachung der bürokratischen Prozesse rund um die Installation und den Betrieb von PV-Anlagen. Dies umfasst die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren und die Verbesserung der Netzanbindung für neue Anlagen. Ziel ist es, Hindernisse zu beseitigen und den Ausbau der Solarenergie effizienter und schneller zu gestalten.

Sporthalle der Gymnasien: 300 Quadratmeter Photovoltaik

Joachim Buemann ist dabei, all dies in Taten umzusetzen. Wir treffen ihn an den Ravensburger Gymnasien. Denn hier und auf dem Dach der großen Sporthalle lässt sich ein Teil der energetischen Gegenwart und Zukunft der Stadt Ravensburg besichtigen: eine Photovoltaik-Anlage mit einer Fläche von rund 300 Quadratmetern. „Hier können wir bis 60 Kilowatt-Peak Strom produzieren und dadurch verringert sich der jährliche CO2-Ausstoß um rund 33 Tonnen.“ Gut 120.000 Euro investierte die Stadt seit 2020 in die PV-Anlage, die rund zehn Mal mehr Strom produziert als eine durchschnittliche Anlage für ein Einfamilienhaus mit einem Vierpersonenhaushalt.

„Das Ziel der Klimaneutralität 2040 planen wir in unsere Gebäudeentwicklungen mit ein.“

Joachim Buemann
Amt für Architektur und Gebäudemanagement der Stadt Ravensburg (AGM)

Buemann arbeitet im Amt für Architektur und Gebäudemanagement der Stadt Ravensburg (AGM) und kennt sich trefflich mit gesetzlichen Rahmenbedingungen aus, mit der „Photovoltaik-Pflicht-Verordnung“ (PVPf-VO), mit Machbarkeitsprüfungen und Prioritätenplanung. „Das Ziel der Klimaneutralität 2040 planen wir in unsere Gebäudeentwicklungen mit ein“, erklärt er. Rund 380 städtische Liegenschaften wurden nach einem strengen Kriterienkatalog analysiert. Dazu gehörten die generelle Gebäudeeignung, die Dachbeschaffenheit, Dachaufbau, Neigung, Installationen, rechtliche Einschränkungen wie die Altstadtsatzung, das Alter des Daches und der Sanierungsstand an Dach und Fassade sowie kurz- bis mittelfristig anstehende Baumaßnahmen. Nicht zu vergessen die Prüfung, ob ein Dach überhaupt Potenzial für eine Photovoltaik-Anlage bietet. Dafür gibt es den Solaratlas des Landkreis Ravensburg. „So haben wir alle städtischen Dächer auf ihre Eignung für Photovoltaik und den zu erwartenden Ertrag überprüft. Auch und vor allem die, wo eine Sanierung ansteht.“ Anschließend wurde eine dreistufige Prioritätenliste erstellt: sofortige Umsetzung, mittelfristig und langfristig. 43 Liegenschaften wurden in der Vorprüfung als geeignet erkannt und diese werden jetzt abgearbeitet, Zug um Zug.

Wichtigster Teil der nachhaltigen „Campuslösung“ rund um die städtischen Gymnasien ist die PV-Anlage auf der großen Sporthalle. © Don Ailinger

 avensburg setzt auf Campuslösungen

Mit im Boot bei diesem aufwändigen und langwierigen Projekt ist seit Anfang 2023 die TWS. Denn wenn die Sonne nicht scheint, dann muss der Strom trotzdem aus den städtischen Steckdosen kommen und für dessen Beschaffung sorgt die TWS. „Wir setzen aber jetzt auf die sogenannte Überschusseinspeisung“, weiß Malte Köhnken. Das bedeutet: Wenn eine Anlage für erneuerbare Energien mehr Strom produziert als für den Eigenverbrauch benötigt wird, dann wird der überschüssige Strom in das öffentliche Stromnetz eingespeist. Köhnken ist Account Manager Energielösungen bei der TWS und kümmert sich mit darum, dass in der Zusammenarbeit zwischen der Stadt und der TWS reichlich Synergien genutzt werden. Und das sieht so aus: Die Photovoltaik-Anlage auf der großen Sporthalle ist eine Investition der TWS. Sie verpachtet der Stadt die komplette Anlage für 18 Jahre, diese erhält im Gegenzug eben Ökostrom. „Wir vergeben mittlerweile alle Projekte in Sachen Photovoltaik an die TWS, bis hin zur Betriebsführung und dem Datentransfer“, ergänzt Buemann. Dabei setzt Ravensburg auf sogenannte „Campuslösungen“. „Hier bedeutet das, dass mit der Inbetriebnahme der PV-Anlage ein großer Teil des Strombedarfes des Schulcampus AEG-, Spohn- und Welfengymnasium gedeckt werden kann. Die Eigennutzung des erzeugten Stroms liegt bei rund 95 Prozent – ohne Speicher. Dadurch verringern wir die Abhängigkeit von externen Stromquellen und durch die Erzeugung von Solarstrom direkt vor Ort können die Energieverluste, die normalerweise beim Transport von Strom entstehen, minimiert werden. So eine Campuslösung planen wir auch am Neuwiesenschulareal und der Grundschule Oberzell.“

Mag hier die Anfangsinvestition auch hoch sein, so amortisieren sich diese Kosten durch die Verringerung der Stromkosten und mögliche Einspeisevergütungen innerhalb weniger Jahre. Nicht zu vergessen, dass Photovoltaik-Anlagen die Nachhaltigkeitsziele und Umweltrichtlinien von Bildungseinrichtungen wie Schulen durchaus fördern. „Und natürlich checken wir auch in den Gebäuden selbst, ob Energie eingespart werden kann. Beispielsweise mit LED-Lampen oder einem Heizkesseltausch, für den wir dann wieder die TWS ins Boot nehmen.“

Oberschwabenhalle: „Mehr geht immer“

Energie sparen und Energie erzeugen, das Konzept setzt die Stadt auch in und auf der Oberschwabenhalle um. Hier wurde die Elektrifizierung innerhalb der Halle erneuert und auf dem Dach des Foyers eine PV-Anlage mit 165 Kilowatt-Peak Leistung und Ost-West-Ausrichtung aufgeständert. Der Jdahresstromverbrauch der Halle liegt bei rund 300.000 Kilowattstunden/Jahr, die  Jahresstromproduktion über die PV-Anlage bei rund 170.000 Kilowattstunden/Jahr. Aber damit geben sich die Verantwortlichen noch nicht zufrieden. „Wir prüfen für die Zukunft, ob durch Gewichtseinsparung in der Deckeninstallation mehr Traglast freizubekommen ist, um dann Photovoltaik sogar auf das Hauptdach installieren zu können – das ist im Moment aufgrund der Installationen in der Halle nicht möglich.“ Damit nicht genug: Selbst für die Beheizung der Halle wird derzeit geprüft, ob und wie die Anbindung an das Fernwärmenetz der Stadt möglich wäre. „Nachhaltige Maßnahmen wie derWärmenetzausbau, Dachsanierungen oder energetische Sanierungsmaßnahmen gehören immer mit ins Gesamtpaket.“

Ein Gesamtpaket als Erfolgsgeschichte: Werden die Jahre 2022 und 2023 zusammengerechnet, so ergibt sich aus der Umsetzung der Strategie eine CO2-Einsparung in Höhe von rund 253 Tonnen pro Jahr und ein Solarstrompotenzial von rund 430 Kilowatt-Peak. Das sind rund jährlich 420 Megawattstunden Stromertrag und damit 9,2 Prozent des Jahresverbrauchs der Stadt. Gemäß dem Klimakonsens liegt das gesetzte Ziel bei einer Erhöhung des regenerativen Stromerzeugungsanteils auf 20 Prozent bis 2030. Mit der eingeschlagenen Strategie ist die Stadt Ravensburg also auf einem guten Weg.

 

Die PV-Anlage auf dem Foyer-Dach der Oberschwabenhalle hat eine Leistung von 165 Kilowatt-Peak. © Don Ailinger

„Wir sind absolut auf
der Höhe der Zeit.“

Malte Köhnken
Account Manager Energielösungen bei der TWS

Auch beim Denkmalschutz tut sich einiges

Eine Art Gesamtpaket ist auch der Erweiterungsbau der TWS in der Schussenstraße, ein funktionales, barrierefreies, zukunftsorientiertes und vor allem ressourcenschonendes Bürogebäude. Gebaut ist es aus Recyclingbeton und ab dem 1. Stockwerk in Hybridbauweise aus Holz und Beton. Bald sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Die 23 Kilowatt-Peak PV-Anlage auf dem Dach ist eingepreist und die fassadenintegrierte Photovoltaik erzeugt auf rund 154 Quadratmetern Fassadenfläche an der Süd- und Ostseite des Gebäudes rund 17 Kilowatt-Peak. „Hier sind wir absolut auf der Höhe der Zeit“, erklärt Köhnken.

Und der Blick vom Dach über Ravensburg hinweg ist heute schon prächtig. Man sieht: Hunderte, wenn nicht Tausende von Dachflächen in unzähligen Schattierungen, meist der Farbe Rot, und der allergrößte Teil ohne PV-Anlage. Dass es auf den ersten Blick mit der Erschließung der Dächer zögerlich vorangeht hat viele Gründe: Da geht es um Hausbesitzer*innen, die nicht hier leben und ihr Gebäude eher als Kapitalanlage betrachten. Um Häuser, die teilweise leer stehen, um Privatbesitzer*innen, die nicht in eine PV-Anlage investieren wollen, um die Altstadtsatzung und den Denkmalschutz. Denn auch der Wunsch, das baukulturelle Erbe zu erhalten und zugleich das Klima zu schützen, kann konfliktträchtig sein. „Aber rund um das wichtige Thema Denkmalschutz tut sich einiges. Es gibt beispielsweise sogenannte ‚Solarziegel‘, die aussehen wie Dachziegel.“ Und die sind schon im Einsatz, beispielsweise im archäologischen Park in Pompeji. Hier wurden erfolgreich Solarziegel installiert, die kaum anders aussehen als die Modelle aus Terrakotta. Sie versorgen das Beleuchtungssystem der Touristenattraktion mit Energie. Im Rahmen eines europäischen Projekts laufen dazu auch Tests in verschiedenen Städten. Das könnte in Ravensburg mit seiner stolzen Altstadt durchaus eine Lösung sein – wenn auch bisher noch recht teuer. Buemann sieht die Möglichkeiten: „Wir wünschen uns einen sensiblen Umgang in der Altstadt, aber wollen natürlich gemeinsam mit den Eigentümern Lösungen finden. Und das begleiten wir gerne.“

Die Zukunft: Energy Sharing und Cloudlösungen

Auch die Vernetzung der städtischen PV-Anlagen ist ein Thema, das Buemann und Köhnken beschäftigt. „Beispielsweise die PV-Anlage auf dem Jugendtreff in den Weststadt erzeugt ca. 50.000 Kilowattstunden/Jahr und spart damit ca. 30 Tonnen CO2 im Jahr. Aber sie hat nur eine Eigenverbrauchsquote von gut 20 Prozent.“ Denn der Jugendtreff braucht meist nur abends Strom, die PV-Anlage läuft aber den ganzen Tag. „Wäre doch klasse, wenn wir hier in Ravensburg alle PV-Module in einen Topf werfen könnten, damit die erzeugte Energie direkt vor Ort verbraucht werden kann. Denn das ist immer die beste Methode.“ Mittlerweile gebe es dafür Konzepte, wie das „Energy Sharing“. Darunter wird die gemeinschaftliche Stromerzeugung und der -verbrauch in räumlichem Zusammenhang verstanden, einschließlich der Nutzung des öffentlichen Stromnetzes. „Da geht es um die Idee einer gemeinsamen Cloud für Ravensburg, mit der wir in Baden-Württemberg einzigartig wären, das hatte keiner auf dem Schirm“, so Buemann – und Köhnken ergänzt: „An solchen Ideen arbeiten wir täglich bei der Stadt und der TWS.“

Malte Köhnken erklärt, dass die rund 154 Quadratmeter fassadenintegrierte Photovoltaik an der Süd- und Ostseite des TWS-Erweiterungsbaus 17 Kilowatt-Peak erzeugen – als nachhaltige Energie mit Zukunftspotenzial. © Don Ailinger

Wer auf die Schnelle einmal schauen möchte, wie es um das Photovoltaik-Potenzial des eigenen Daches bestellt ist, sollte sich online den Solaratlas des Landkreises Ravensburg anschauen: solaratlas-rv.smartgeomatics.de

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