Ehrenamt: Wo Solidarität und gesellschaftliche Verantwortung beginnen

Lust auf Engagement und Anerkennung

vom 18. Nov 2024
Autor: Stefan Blank
Fotos: Don Ailinger, Stefan Blank, Carolin Schattmann
© Don Ailinger
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Das Ehrenamt spielt eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft. Ehrenamt hateine lange Tradition, ist Ausdruck von Gemeinschaftsgefühl und Engagement und bildet das Rückgrat vieler sozialer, kultureller, sportlicher und politischer Strukturen. Im Alltagsleben kommen wir häufig mit ehrenamtlichem Engagement in Kontakt. Und viele von uns sind ehrenamtlich engagiert oder kennen jemanden, die oder der im Verein, für die Umwelt, für ältere Mitmenschen oder in zeitlich begrenzten Projekten Zeit aufwendet und dadurch das Leben aller Beteiligten bereichert.

Wir haben uns umgeschaut, aufgeschlossene Menschen kennengelernt und können sagen: Ohne ehrenamtliches Engagement würde unsere Welt ganz anders aussehen.

Als am 6. Oktober 2024 die Pforten der Landesgartenschau in Wangen schlossen, konnten die Verantwortlichen stolz zurückblicken: Mehr als 900.000 Besucher*innen waren gekommen. Als hervorragende Werbung für die Region hatte die Schau auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Wangen gestärkt. Dafür hatten nicht weniger als 2.000 Menschen gesorgt, die mehr als 50.000 Stunden im Einsatz gewesen waren. Sie seien, so der Wangener Oberbürgermeister Michael Lang, „das freundliche und fröhliche Gesicht der Landesgartenschau“. Nicht zu vergessen: Die 2.000 waren ehrenamtlich unterwegs gewesen. Und von diesen waren gut und gerne 200 aus der Ravensburger Ecke gekommen. Im nahen Allgäu haben sie ihr Engagement, ihr Wissen und ihre Kreativität beigesteuert und dabei geholfen, unsere Heimat zu verschönern. Und sicher sind davon ein paar mit eigenen Ideen für den Garten, ihre Straße und ihre Stadt ins Schussental zurückgekehrt und bringen sich jetzt ein, vielleicht als „Stadt-Verschönerer“.

Sich um die Nachbarschaft kümmern
In Ravensburg sorgen Bürgerinnen und Bürger mit Unterstützung der Stadt- und Ortsverwaltungen eigenverantwortlich in ihrem Quartier für zusätzliche Sauberkeit. 35 Stadt-Verschönerer sind’s, die mit gelben Westen, Zangen, Handschuhen, Besen und Schaufeln unterwegs sind und sich um ihre Nachbarschaft kümmern. Dabei sind sie in guter Gesellschaft: Die Freiwilligenagentur, die im Rathaus sitzt, kümmert sich um die Ausstattung der Stadt-Verschönerer, vermittelt ehrenamtliche Jobs, bringt Menschen miteinander in Kontakt und fördert mit vielfältigen Aktionen die Anerkennung des bürgerschaftlichen Engagements. Da wäre beispielsweise die Freiwilligenbörse, der Wahl-Oma/Opa-Service, der Witwen-Stammtisch, die Ticket-Tafel und mehr. 

„Rund 90 Einrichtungen melden
uns derzeit ihren Bedarf
an ehrenamtlicher Unterstützung.“

Sophie Bader
Leiterin der Abteilung Gesellschaft und der Freiwilligenagentur

„Bei uns kommt das zusammen, was für die Stadtgesellschaft passt“, erklärt Sophie Bader. Sie ist Leiterin der Abteilung Gesellschaft und der Freiwilligenagentur und kümmert sich gemeinsam mit ihrem Team darum, dass Menschen jeden Alters, die Zeit haben und diese sinnvoll einsetzen möchten, ein passendes Ehrenamt finden. „Rund 90 Einrichtungen melden uns derzeit ihren Bedarf an ehrenamtlicher Unterstützung. Das gleichen wir dann ab mit den Ideen der Menschen, die sich engagieren wollen, und bringen beide Seiten zusammen. So machen wir das Ehrenamt sichtbar und schaffen für Interessierte die Voraussetzungen dafür, sich gemeinsam mit anderen für Menschen und Themen einsetzen zu können.“

Das Team von der Ravensburger Freiwilligenagentur mit Rita Gluding (Ehrenamtliche), Antje Mayer, der Leiterin Sophie Bader und Antonie Ertl (v. l. n. r.) wird nicht müde, sich immer neue und sinnstiftende Ansätze für ehrenamtliches Engagement auszudenken. © Don Ailinger

Rita Gluding ist so ein Mensch. Die Sozialpädagogin in Rente leitet seit zwei Jahren ehrenamtlich den Wahl-Oma/Opa-Service und hat viel Freude dabei. „Wir springen als kinderliebende Vermittlung dann ein, wenn keine Familie mehr zur Verfügung steht, wenn es keinen gemeinsamen Alltag gibt.“ Für sie ist es immer ein schönes Erlebnis, mit den Familien im Kontakt zu sein und zu helfen. Gluding erfährt Wertschätzung und Anerkennung und ist stolz, reichlich Erfolgserlebnisse verbuchen zu können.

„HoffnungsBären“ werden verschenkt, wenn Kinder und Jugendliche von Krankheiten, Unfällen, Gewalt und anderen Katastrophen betroffen sind. Diese kleinen Plüschbären können liebevoll angezogen und gestaltet werden und sollen den
Betroffenen Zuversicht und Hoffnung schenken. Sie werden in der Freiwilligenagentur ausgegeben und vom Kinderschutzbund finanziert. © Don Ailinger

„Wir springen als kinderliebende Vermittlung dann ein, wenn keine Familie mehr zur Verfügung steht.“

Rita Gluding
Sozialpädagogin

Digitale Ehrenamtsplattform

Genau diese Erfolgserlebnisse möchte auch die Stadt Weingarten vorantreiben. Dafür gibt es mit www.weingarten-engagiert.com seit September 2022 eine digitale Ehrenamtsplattform, die sich die Abteilungsleiterin, Sabine Weisel, und die Referentin für Bürgerschaftliches Engagement, Carolin Schattmann, zusammen mit zahlreichen Engagierten aus der Stadtgesellschaft ausgedacht haben. Beide wissen, „dass wir von der Stadt nicht alles steuern können, was das gesellschaftliche Zusammenleben angeht“. Also möchten sie mit ihrer Plattform Menschen mitnehmen, sie zum aktiven Mitgestalten anregen und unter anderem dafür gewinnen, eine Patenschaft für ein Stück Weingarten zu übernehmen.

„Modernes Engagement muss sich an modernen Lebensumständen orientieren“, erklärt Weisel und Schattmann ergänzt: „Unsere Plattform sollte man sich wie eine Ehrenamtsmesse vorstellen, die 24/7 für Interessierte zugänglich ist. Diese können sich über die Vielfalt an Initiativen und Vereinen in Weingarten informieren und in der Liste der Angebote schauen, ob etwas für sie dabei ist.“ Eine übersichtliche Plattform also als niedrigschwelliges Angebot für alle Bürgerinnen und Bürger.

Unter dem Motto „Lust auf Ehrenamt?“ möchten Sabine Weisel und Carolin Schattmann (v. l.) online und mit niedrigschwelligen Angeboten dazu beitragen, dass sich die Menschen für ihre Stadt engagieren. Dazu gehören auch die roten Kräuterkübel der Initiative Lebendiges Weingarten, die die Innenstadt verschönern. © Don Ailinger

Über sie können die Menschen etliche Möglichkeiten finden, selbst aktiv zu werden. „Von der ehrenamtlichen Fahrerin beim Bürgerfahrdienst über die Schulwegbegleitung für ein Kind bis hin zur Unterstützung einer örtlichen Initiative bei ihrem Social-Media-Auftritt, die Bandbreite der Gesuche ist vielfältig und auch mit teils geringem Zeitbudget machbar“, sagt Schattmann.

Ein Punkt ist den beiden Stadtvertreterinnen dabei wichtig: „Wir nutzen zwar die digitalen Tools, um den Austausch, die Vernetzung und die Vermittlung passender Angebote einfacher und effizienter zu gestalten“, so Weisel, „aber die persönlichen Beziehungen und Begegnungen sind nach wie vor das A und O.“ So erleichtere die digitale Plattform den Erstkontakt – alle weiteren Schritte sollen dann, wie gewohnt, im Analogen stattfinden. Mit diesen Erfahrungen und Einstellungen gegenüber dem Ehrenamt ist die Stadt Weingarten in guter Gesellschaft.

Das Ehrenamt in Deutschland

In Deutschland engagieren sich rund 29,6 Millionen Menschen ehrenamtlich, also rund 39 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren. Ihr Engagement umfasst Sportvereine, Wohlfahrts- und Umweltschutzverbände, Kirchen, kulturelle Organisationen, Bildungsinitiativen und Rettungsdienste. Das Ehrenamt auch und vor allem auf kommunaler Ebene ist längst ein wesentlicher Pfeiler der deutschen Gesellschaft und trägt maßgeblich zu Stabilität und Gemeinwohl bei.

Dabei bietet das Ehrenamt Menschen aller Altersklassen zahlreiche Vorteile. Es ermöglicht, dass sie sich weiterentwickeln, und stärkt soziale Kompetenzen. Zudem bietet es die Möglichkeit, sich in einem neuen Umfeld zu engagieren, Netzwerke zu knüpfen und wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Oft ist das Ehrenamt eine Brücke in die Berufswelt, da es Fähigkeiten und Kenntnisse vermittelt, die im beruflichen Kontext von Bedeutung sind.

Übrigens: Nirgendwo in Deutschland sind so viele Menschen ehrenamtlich tätig wie in Baden-Württemberg. Bei der sogenannten Ehrenamtsquote lag das Ländle beim letzten „Deutschen Freiwilligensurvey“ 2019 mit 6,9 Millionen ehrenamtlich Engagierter und einem Anteil von 46,1 Prozent deutlich vor Schleswig-Holstein (39,6) und mehr als sechs Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt mit 39,7. Es scheint, als ob Solidarität und gesellschaftliche Verantwortung hier traditionell eine große Rolle spielen. Und natürlich auch die Überzeugung, dass es sich lohnt, etwas zu tun.

Die ganze Welt im Blick

Einer dieser Überzeugten ist Klaus Koch aus Ravensburg. Er ist ehrenamtlicher Sprecher im „Aktionsbündnis gegen AIDS“, einem Netzwerk aus rund 300 Gruppen und Organisationen aus der ganzen Bundesrepublik. Dazu gehören lokale Aids-Hilfe-Gruppen, die Kirchen, Eine-Welt-Läden sowie Organisationen aus dem Bereich Entwicklungszusammenarbeit, humanitärer Hilfe und Gesundheitsfragen. Koch pendelt regelmäßig zwischen Ravensburg und Berlin, wo die Zentrale des Aktionsbündnisses sitzt, und er hat dabei die ganze Welt im Blick: „Uns geht es darum, dass alle Menschen auf der ganzen Welt den benötigten Zugang zu HIV-Prävention, Behandlung, Betreuung und Pflege erhalten – auch und vor allem in benachteiligten Ländern, wie in Afrika.“

Klaus Koch ist überzeugt, dass Leben und Gesundheit ein Menschenrecht sind. Und dafür lohnt es sich, zu diskutieren und auch zu streiten.
© Don Ailinger

Klaus Koch ist 67 Jahre alt und schon lange dabei: „1981 habe ich im damaligen ‚Zentrum für Psychiatrie Die Weissenau‘ in der akutpsychiatrischen Aufnahmestation als stellvertretender Leiter angefangen und gemerkt, dass Menschen, die an HIV erkrankt waren, von der Gesellschaft und von Ärzten und Pflegekräften wenig angenommen und abwertend behandelt wurden. Ihre Lebenskonzepte wurden herabgesetzt und AIDS-Patienten in der Psychiatrie haben sich nicht getraut, über ihre Krankheit zu sprechen. Dagegen wollte ich, besonders als schwuler Mann, etwas tun.“ Gemeinsam mit Gleichgesinnten entwickelte er ab 1986 die „Aidshilfe Konstanz“ weiter. „Wir haben uns um die Versorgung gekümmert und die AIDS-Kranken in allen Lebenslagen unterstützt.“ Parallel bildete sich Koch auf etlichen Ebenen weiter, engagiert sich bis heute politisch und ist seit Juli 2023 im Supportteam des ZfP Weissenau. Aber seine Mission verlor er nie aus den Augen. „Leben und Gesundheit sind ein Menschenrecht.“ Auch wenn es mittlerweile Medikamente gibt, ist AIDS nicht einfach verschwunden. 2023 gab es in Deutschland 3321 Neudiagnosen. Davon 23 Kinder, die das HI-Virus über ihre Mutter erhielten. „AIDS ist eine Krankheit, die man ein Leben lang hat. Die Betroffenen brauchen bis heute Hilfe und kämpfen um Anerkennung. Und das eben nicht nur am 1. Dezember, dem Welt-AIDS-Tag.“ 

„Setzt euch für etwas ein, engagiert euch!
Es wird euer Leben bereichern.“

Klaus Koch
Ehrenamtlicher Sprecher im „Aktionsbündnis gegen AIDS“

Diese Hilfe leistet Koch in seinem Netzwerk und weiß, dass Ehrenamt Freude macht, „dass ich hier neue Leute kennenlerne. Auch solche, die ich sonst nicht treffen würde. Seit 1986 haben wir so und in kleinen Schritten für Menschen mit AIDS viel erreicht. Es lohnt sich, sich zu engagieren und nicht nur zu meckern. Einzustehen für eine Sache und dafür etwas zu tun, das treibt mich an“. Sein Tipp, besonders für die jungen Menschen von heute: „Setzt euch für etwas ein, engagiert euch! Es wird euer Leben bereichern.“
Engagierte Jugend in Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg leben etwa 2,1 Millionen Menschen unter 18 Jahren, 19 Prozent der Gesamtbevölkerung. Etwa 300.000 oder 30 Prozent davon engagieren sich ehrenamtlich. Dieses frühe Engagement fördert die demokratische Teilhabe und das Bewusstsein für gesellschaftliche Verantwortung und legt den Grundstein für ein lebenslanges Mitmachen. Davon hat nicht nur die Gesellschaft etwas, sondern auch die Unternehmen, die dieses Engagement gerne ins Berufsleben übertragen wollen. Dazu gehört die TWS.

Das Engagement der TWS

„Wir wissen, wie wertvoll ehrenamtliche Tätigkeiten auch bei uns im Haus geschätzt werden und wie sie dazu beitragen, die Gemeinschaft zu stärken und positive Veränderungen zu bewirken. Also unterstützen wir das Engagement unserer Mitarbeitenden in ehrenamtlichen Projekten“, sagt Michael Schweitzer, Personalleiter bei der TWS. Dazu gehört beispielsweise die Teilnahme an Aus- und Fortbildungslehrgängen oder Lehrgänge als Trainer für Jugendsport. Bis zu zehn Tage können sich hier Mitarbeitende freistellen lassen, Azubis bis zu fünf Tage. Und wer bei der Freiwilligen Feuerwehr, dem Technischen Hilfswerk oder dem Katastrophenschutz mitmacht, wird bei Einsätzen und Fortbildungen unbegrenzt freigestellt – bei voller Entgeltfortzahlung.

Nico Unmuth, Auszubildender bei der TWS, fühlt sich sichtlich wohl in seiner Uniform. Damit wird er als Helfer für alle erkennbar und kann so Gutes tun.
© Don Ailinger

Einer dieser Menschen ist Nico Unmuth, 22 Jahre jung, im dritten Jahr Auszubildender zum Industriekaufmann bei der TWS und seit acht Jahren aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Grünkraut. Mittlerweile ist er auch Betreuer bei der Jugendfeuerwehr und gibt sein Wissen an die Jüngsten weiter. Warum er hier aktiv ist? „Ich wollte schon immer raus und etwas unternehmen. Ich finde es gut, mich bei der Feuerwehr im Ort einzubringen, da es mir gefällt, wie hier junge und ältere Menschen zusammenarbeiten können. Nicht nur die gute Gemeinschaft macht es aus, sondern ich habe auch das Bedürfnis, anderen Menschen in Not zu helfen. Die Feuerwehr ist hier ein wichtiger Helfer in der Not, sei es bei einem Verkehrsunfall, einem Brandeinsatz oder Hochwasser. Leute, die in solche Situationen geraten, sind nicht nur auf Hilfe angewiesen, sondern auch äußerst froh und dankbar, wenn man ihnen hilft.“ Dabei geht es ihm längst nicht nur um den Spaß und die Kameradschaft. ,,Es tut einem selber gut, wenn man helfen kann, sei es bei der Freiwilligen Feuerwehr oder im privaten Umfeld. Auch zu Hause helfe ich gerne. Sei das beim Holzmachen für die Familie oder mich mit um meine demente Oma zu kümmern. Und das ist es, was das Ehrenamt ausmacht. Ich möchte anderen Menschen helfen, dabei Verantwortung übernehmen und etwas zurückgeben.“

„Es tut einem selber gut, wenn man helfen kann, sei es bei der Freiwilligen Feuerwehr oder im privaten Umfeld.“

Nico Unmuth
Auszubildender bei der TWS und aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Grünkraut

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