Die Energie der Zukunft in Forschung und Lehre

Mut zur Veränderung

vom 20. Sep 2021
Autor: Stefan Blank
Fotos: Anja Köhler
© Anja Köhler
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Die erneuerbaren Energien sind seit Jahren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Deutschland. Im Jahr 2020 wurden elf Milliarden Euro in Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien investiert. Gleichzeitig stieg ihr Anteil am Bruttostromverbrauch auf 45,4 Prozent und 227 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen konnten so vermieden werden. Beeindruckende Zahlen, hinter deren Umsetzung viele Ideen und Visionen stecken.

Rund 300.000 Profis sind heute allein in Deutschland im Bereich der erneuerbaren Energien tätig, das sind knapp dreimal so viel wie im Jahr 2000. Sie setzen energetische Konzepte um, finden Lösungen und denken über die Energien der Zukunft nach. Auch im Schussental widmen sich Interessierte dem Thema und lassen sich beispielsweise an der Hochschule Ravensburg-Weingarten (RWU) zu Ingenieur*innen der Energie- und Umwelttechnik ausbilden. Ein Besuch bei Menschen, die Mut zur Veränderung haben.

„Auf Basis einer ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung lernen Sie, innovative Energiesysteme zu entwickeln. Dazu zählen zum Beispiel Batteriesysteme für Elektrofahrzeuge und Brennstoffzellensysteme für die Raumfahrt. Auch die Energiesystem- und Kraftwerkstechnik einschließlich Windenergie, Photovoltaik und Wasserkraft spielen eine wichtige Rolle im Studium“, heißt es in der Einführungsbroschüre zum Bachelorstudiengang „Energie- und Umwelttechnik“ an der RWU.

Hinter diesen Worten, dieser Mission und dem Konzept des Studiengangs steckt Christoph Ziegler, Diplomphysiker, Professor, Doktor und seit 2016 an der RWU Studiendekan im Bachelorstudiengang Energie- und Umwelttechnik mit den Schwerpunkten Regenerative Energiesysteme und Umwelttechnik. Für ihn ist längst klar, dass es die eine klassische Energiequelle wie Benzin oder Kohle nicht mehr gibt. Denn knapper werdende Ressourcen und unübersehbare Umweltfolgen erforderten ein Umdenken, und die Energiewende führe weg von fossilen Brennstoffen und Atomenergie und hin zu Strom aus regenerativen Quellen wie Wind, Wasser und Sonne. Zieglers großes Thema ist die dazugehörige Speichertechnik. Seine Ideen erprobt er mit Kolleg*innen und Student*innen im „X-LAB“, direkt neben dem Hauptgebäude der RWU in Weingarten. Hier, auf 400 Quadratmetern Fläche, erarbeitet er im Team mit Kolleg*innen seit 2019 neue E-Mobilitätskonzepte. „An der E-Mobilität kommt man nicht vorbei, wenn man sich mit den erneuerbaren Energien beschäftigt“, sagt er, „denn von den Entwicklungsschüben in der Automobilindustrie profitieren auch alle anderen Branchen, bis hin zum Häuslebauer.“ Denn was an modernster Speichertechnik erdacht und in Fahrzeugen verbaut werde, das finde sich später in allen anderen energetischen Konzepten wieder. „Wenn also die Landesregierung von Baden-Württemberg sagt, dass Windkraft und Photovoltaik ausgebaut werden müssen, dann muss auch beispielsweise die Lithium-Ionen-Technik für die Speicherung der gewonnenen Energien auf dem modernsten Stand sein.“

Im X-Lab wird mit modernster Messtechnik gearbeitet und entwickelt. Dazu gehören auch Konzepte für hocheffiziente Batterien. © Anja Köhler

Also widmet er sich gemeinsam mit 25 Student*innen, die jährlich für den Studiengang zugelassen werden, energetischen und experimentellen Projekten. Dazu gehört die Elektrifizierung eines VW Käfers in Zusammenarbeit mit der TWS oder die eines kultigen Schwalbe-Mopeds. Er denkt darüber nach und erforscht, ob Coffee-Bag-Zellen oder doch eher Zylinderzellen als Bauformen der Batterien das Ding der Zukunft sind, wie das Packaging derselbigen aussehen und letztendlich die so entstandene Batterie in die Fahrzeugtechnologie integriert werden könnte. Ziegler ist überzeugt, dass der Punkt, an dem E-Mobilität günstiger sein wird als ein „Verbrenner mit Fabrik zur Abgasreinigung hinten dran“, nicht mehr weit entfernt ist. „Für das Jahr 2027 glaube ich nicht, dass jemand von uns noch einen Verbrenner kauft.“

„Für das Jahr 2027 glaube ich nicht, dass jemand von uns noch einen Verbrenner kauft.“

Prof. Dr. Christoph Ziegler
Diplomphysiker, Professor, Doktor an der RWU,
Studiendekan im Bachelorstudiengang Energie- und Umwelttechnik

Zu seiner These passt, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch im Bereich Verkehr 2020 auf 7,3 Prozent stieg, 2019 waren es 5,6 Prozent. Gleichzeitig ging der Einsatz konventioneller Kraftstoffe zurück, während der Absatz von Biokraftstoffen wie Biodiesel anstieg. „Aber der Akku ist der Schwerpunkt in diesen Entwicklungen. Da kann auch die Wasserstoffenergiekette nur schwer gegen ankommen.“ Denn mit Wasserstoff werde viel mehr Energie benötigt, aber an der Speicherung derselbigen komme man nicht vorbei. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in absehbarer Zeit mit Wasserstoff fahren.“ Die Brennstoffzelle, häufig als Konkurrent des Akkus bezeichnet, könne laut Ziegler die Batterie nicht ersetzen. „Eine Brennstoffzelle kann man zwar auf einige Arten betreiben, wie mit Wasserstoff oder Alkoholen, aber sie produziert eben nur Energie. Eine Batterie dagegen hat die Aufgabe, Energiewandlung und Speicherung in einem zu leisten.“

Zukunftsmusik: Auch in Flüssigkeiten kann elektrische Energie gespeichert werden. Bereits Realität sind Brennstoffzellen, die auch schon großflächig eingesetzt werden. © Anja Köhler

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Making of #meinschussental Prof. Dr. Christoph Ziegler – Hochschule Ravensburg Weingarten RWU © Don Ailinger

Für das Heizen eines Hauses allerdings sei die Brennstoffzelle als kleines Blockheizkraftwerk (BHKW) absolut eine energetische Alternative zur klassischen Verbrennung von Öl oder Gas. „Eine Hochleistungsbrennstoffzelle lässt sich auch gut mit Erdgas oder Wasserstoff betreiben.“ Und den Strom aus der hauseigenen Photovoltaik könne man zukünftig in einer Redox-Flow-Batterie speichern. Redox steht für Reduktion-Oxidation, also Elektronenaufnahme und Elektronenabgabe. Redox-Flow-Batterien speichern Energie durch eine umkehrbare elektrochemische Reaktion zwischen zwei Elektrolyten und erreichen Wirkungsgrade von bis zu 75 Prozent. All diese Überlegungen führen den Diplomphysiker Christoph Ziegler zu einer optimistischen Einschätzung: „Bis 2040 ist es möglich, das Problem der Elektrizität in Bezug auf den Klimawandel zu lösen.“

Die Natur im Blick: Laura Jüstel, Karin Merk und Saskia Brugger (v. l. n. r.) im Labor für Umweltanalytik. © Don Ailinger
Neben der E-Mobilität stellen sich die Student*innen der RWU auch anderen Fragen zur Energie der Zukunft. Zum Beispiel: Wie werden Stromnetze optimiert? Wie managt man eine stabile Energieversorgung? Da geht es um intelligente und effiziente Energiesysteme und eine umweltschonende und problemlose Stromversorgung der Zukunft. Wer hier mitdenkt und herausragende Konzepte entwickelt, dem stehen später viele Türen offen – vielleicht auch angespornt durch den „TWS-Energiepreis“, den die TWS zwei Mal im Jahr für studentische Arbeiten auslobt und die Student*innen mit 500 Euro belohnt. Für Helmut Hertle, Geschäftsführer der TWS Netz GmbH, ist klar: „Mit unserem Preis loben wir nicht nur herausragende Arbeiten von Student*innen, sondern geben ihnen auch einen Anreiz, im Berufsleben weiter an innovativen Konzepten zu arbeiten und Ideen zu entwickeln.“ Da ist es klar, dass Absolvent*innen des Studiengangs Energie- und Umwelttechnik als gern gesehene Bewerber*innen um die Arbeitsplätze bei der TWS als ökologisch orientiertem und regional verwurzeltem Unternehmen gelten. Später, in Lohn und Brot bei Energie- und Wasserversorgern, bei Industrieunternehmen, Ingenieurbüros oder Behörden, arbeiten die Ingenieur*innen der Energie- und Umwelttechnik an der Entwicklung und dem Betrieb von Turbinen, Windrädern, Solarzellen oder Batteriesystemen. Auch analysieren sie Luft und Boden auf Schadstoffe und kümmern sich um sauberes Trinkwasser. Zu diesen Menschen gehören Saskia Brugger, Katrin Merk und Laura Jüstel. Sie sorgen einerseits dafür, dass die Umwelt sauber bleibt und tragen außerdem dazu bei, dass der Frauenanteil an der RWU bei 33 Prozent liegt – für eine technische Hochschule beachtlich.

„Ich möchte das Bestehen der gegenwärtigen Umwelt sichern.“ 

Prof. Dr. Saskia Brugger
Dekanin im Masterstudiengang Umwelt- und Verfahrenstechnik RWU

Saskia Brugger ist Dekanin im Masterstudiengang Umwelt- und Verfahrenstechnik mit den Schwerpunkten Chemie/Physikalische Chemie, Umweltanalytik und Umweltanalytische Verfahren und ein Eigengewächs der RWU: Sie hat hier studiert und promoviert, arbeitete drei Jahre in der Qualitätskontrolle eines Pharmaunternehmens und kam dann zurück an ihre alte Hochschule als Professorin. Heute ist sie unter anderem für die Praktika im Bachelorstudiengang Energie- und Umwelttechnik und im Masterstudiengang Umwelt- und Verfahrenstechnik zuständig. Gemeinsam mit Katrin Merk, Master of Engineering und akademische Mitarbeiterin in der Fakultät Maschinenbau mit Schwerpunkt Energie- und Umwelttechnik, erforscht sie mit umweltanalytischen Verfahren unter anderem Wasserqualitäten. Sie taucht hinein in die Welt der Anionen und Kationen und erkundet die Zusammensetzung von organischen Säuren. Brugger und Merk geht es bei ihrer Arbeit darum, das Bestehen der gegenwärtigen Umwelt zu sichern. „Wir haben schon den Rösslerweiher untersucht und beim Schwanenweiher hier gleich nebenan festgestellt, dass die Wasserqualität viel besser ist, als man denken könnte.“ 

Unterwegs in der Welt der Anionen, Kationen und organischen Säuren: Merk und Brugger analysieren Wasserqualitäten. © Anja Köhler

„Mir geht es darum,

meinen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren.“ 

Laura Jüstel
Masterstudentin

Im Umweltanalytik-Labor arbeitet auch Laura Jüstel, Masterstudentin der Umwelt- und Verfahrenstechnik. Sie hat in Krefeld einen Bachelor in Maschinenbau gemacht und beschäftigt sich an der RWU aktuell mit dem CO2-Gehalt, wie er hinter FFP2-Masken anfällt. „An unserer Hochschule gefällt mir, dass wir praktisch arbeiten und nicht nur hinter dem Computer sitzen.“ Sie beschäftigt sich auch privat mit dem Thema Nachhaltigkeit, legt Wert auf einen umweltfreundlichen Lebensstil, isst kein Fleisch und fährt so wenig wie möglich mit dem Auto. „Mir geht es darum, meinen ökologischen Fußabdruck so weit zu reduzieren, wie es geht.“ Damit ist sie ganz auf einer Linie mit dem leidenschaftlichen Freizeitradler Christoph Ziegler, der auf die Innovationskraft seiner Student*innen setzt: „Die Studierenden kommen mit Ideen und gemeinsam können wir diese weiterentwickeln für eine nachhaltige Zukunft – hier in unserer vielfältigen und schönen Region und für die ganze Welt.“

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