Gestaltet wird die Region durch die Land- und Forstwirtschaft. Wie übrigens auch mehr als 80 Prozent der Oberfläche von ganz Deutschland. Die Landwirtschaft hat über die Jahrzehnte mit stetigen Produktionssteigerungen ein starkes Wachstum der Bevölkerung ermöglicht und übt einen entscheidenden Einfluss auf Umwelt und Natur aus – auf Böden, Tiere, Gewässer, biologische Vielfalt, auf unsere Ernährung und unser Wohlergehen. Wir wollten erfahren, welche Menschen das Wohlergehen sichern, wie es in unserer Heimat um die Landwirtschaft bestellt ist, wie sie sich wandelt und welche Folgen das für die Zukunft haben könnte.
Landwirtschaft ist ein wirklich großes Thema. Nicht nur in Deutschland oder der EU, sondern weltweit. Ein Blick auf die Politik der Europäischen Union zeigt, welche Rolle ihr zugestanden wird: Im Jahr 2019 wurden allein 38,2 Milliarden Euro für Direktzahlungen an Landwirte und 13,8 für die Entwicklung des ländlichen Raums ausgegeben. Mit weiteren 2,4 Milliarden Euro wurde der Markt für landwirtschaftliche Erzeugnisse unterstützt. Im selben Jahr arbeiteten 9.476.600 Beschäftigte EU-weit in der Branche.
Auf Deutschland bezogen verlieren die Zahlen etwas an Macht. So schreibt das Umweltbundesamt 2023: „Insgesamt sind in Deutschland knapp eine Million Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt – etwa zwei Prozent aller Erwerbstätigen. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts sah das noch ganz anders aus. Damals beschäftigte die Landwirtschaft noch rund 38 Prozent der Erwerbstätigen.“
Aber seither ist im landwirtschaftlichen Sektor viel passiert. Traktoren, Mähdrescher und andere Maschinen sowie Hilfsmittel wie Dünger und Pflanzenschutzmittel führten dazu, dass Personal entbehrlich wurde. Und spätestens mit Beginn der 1990er-Jahre spezialisierten und konzentrierten sich die Höfe im Rahmen des „landwirtschaftlichen Strukturwandels“ mehr. Die Folge waren immer weniger und dafür größere Betriebe – die Zahl der Arbeitskräfte halbierte sich.
Auf Baden-Württemberg bezogen meldet der „Infodienst ländlicher Raum“: „Im Jahr 2021 waren lediglich noch 67.400 Erwerbspersonen in der Landwirtschaft in Baden-Württemberg beschäftigt. Das Land liegt hier mit einem Anteil von 1,1 Prozent im Ländervergleich unter dem Bundesdurchschnitt von 1,3 Prozent.“ In der Region Bodensee-Oberschwaben arbeiten nur (noch) 0,9 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft, 2446 Menschen. Das sind nicht viele. Denn immerhin stellte die von der Bundesregierung eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft 2021 fest: „Landwirtschaft ist systemrelevant. Sie ist die grundlegende wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen. Sie hat arbeitsteilige, städte- und staatsbildende Gesellschaften erst ermöglicht und ist somit auch die Grundlage jeder Zivilisation.“
Markus Weber kümmert sich um seine Kühe und Pflanzen und natürlich um Rüdiger, die Rabenkrähe. © Don Ailinger
Ein Auskommen mit Heidelbeeren und Holunder
Einer der 2446 ist Markus Weber. Gemeinsam mit seiner Familie betreibt er den Schoderhof in Edensbach bei Waldburg. 28 Hektar Land werden von ihm bewirtschaftet. Zwölf Hörnerkühe – original Schweizer Braunvieh – sorgen für Biomilch, Quark und Joghurt. Ein Hofladen versorgt Kund*innen mit den Dingen des Lebens. Krähen, Milane und Störche leben rund um das Anwesen, die zahme Rabenkrähe heißt Rüdiger. Urlauber können sich hier einmieten, eine Photovoltaikanlage glänzt auf dem Dach und „mein neuester Traktor ist Baujahr 1980.“
Der Schoderhof mit seiner Milchkuhherde mit muttergebundener Kälberaufzucht läuft seit langem auf Bio- und DEMETER-Standard und ist in der Region eine Art Vorzeigehof. Nicht ohne Grund schaute auch der BUND Ravensburg-Weingarten bereits mit seiner Familiengruppe auf dem Schoderhof vorbei – gewiss nicht zum letzten Mal. Corinna Tonoli vom BUND Ravensburg kann das erklären: „Ich denke, der Schoderhof ist ein wunderbarer Ort, um schon die Kleinsten für die Themen artgerechte Tierhaltung, Biolandbau und Artenvielfalt zu sensibilisieren.“ Das ist ganz im Sinne von Markus Weber. 1997 und nach dem landwirtschaftlichen Studium hatte er für sich und den elterlichen Hof entschieden, aus dem System des „schneller, höher, weiter“ auszusteigen. „Bei 300 Kühen, da hast du keinen Spaß mehr.“ Er suchte und fand Nischen. Eine davon ist heute ein wichtiges Standbein des vielseitigen Schoder-
hofs: die Heidelbeere.
Auf die Heidelbeere war Weber vor 25 Jahren gekommen, weil er die Frucht mag und einfach mal probieren wollte, ob da was geht. Also besuchte er Betriebe, die Erfahrungen vorweisen konnten, machte sich schlau über Sorten wie die „Reka“ aus Neuseeland und den bestmöglichen Anbau. Heute stehen auf dem Schoderhof 3000 Büsche in voller Pracht auf knapp einem Hektar Fläche. „So wie ich die anbaue, baut sonst niemand an.“ In die Wiese hat er sie gepflanzt, kein Sägemehl drunter, dafür eine dicke Schicht Mulch – bio natürlich. Der hohe Humusgehalt dient als Wasser- und CO2-Speicher. 90 Prozent der Heidelbeeren werden von fleißigen Besucher*innen-Händen selbst gepflückt. Daneben wachsen und gedeihen Blutweiderich, Minikiwi und seit 2015 Holunder – ein weiteres Nischenprodukt, heißbegehrt in DEMETER-Qualität. „Das, was ich anbaue, das muss ich auch mögen.“ Der Wirtschaftlichkeit als oberster Priorität hat Weber längst abgeschworen. Er will überleben in seiner Nische und Dinge tun, die ihm und seiner Familie Spaß machen. „Aus Boden und Pflanzen das Beste für den Menschen herausholen, das ist für mich gute Landwirtschaft.“
Auf dem Hof gibt’s immer viel zu tun für Markus und Anne Weber. Gut, dass die nächste Generation mit Adam, Anna und Frieda schon in den Startlöchern steht. © Don Ailinger
„Das, was ich anbaue,
das muss ich auch mögen.“
Betreiber des Schoderhofs in Edensbach bei Waldburg
Eine Familie zufriedener Landwirt*innen
In der EU-Landwirtschaft und damit auch in Oberschwaben wird eine große Vielfalt an Lebensmitteln produziert – von Getreide bis hin zu Milch. „Die Milch macht’s“ hieß ein Slogan der deutschen Milchwirtschaft Ende der 1980er-Jahre. Heute ist die Milch in der Werbung in den Hintergrund geraten. Ihr Dasein ist selbstverständlich und sie kommt den Verbraucher*innen als Grundnahrungsmittel oft gar nicht mehr in den Sinn. Dazu trägt sicher auch bei, dass der Bezug zur Landwirtschaft bei vielen Menschen verloren gegangen ist. Die „Zukunftskommission Landwirtschaft“ hat das Problem generell erkannt und sagt: „Ebenfalls zeigt das Zukunftsbild zufriedene Landwirt*innen, die ihren Beruf gerne ausüben. Es zeigt auch die Haltung von Tieren unter hohen Tierschutzstandards, über Lebensmittelqualitäten gut informierte Verbraucher*innen, die Einhaltung von klimapolitischen Vereinbarungen sowie vielfältige Anwendungen der Digitalisierung.“
Zufriedene Landwirt*innen, das sind die Allmendingers aus der Schnabelau bei Amtzell: Otto senior und Otto junior, Ehefrau Patricia, die Töchter Isabell und Laura und Oma Rosl. Sie sorgen sich um hohe Tierschutzstandards, informieren und machen Werbung, haben ein offenes Ohr für die Digitalisierung und der Hof versorgt seit 1917 die Molkereien mit reichlich gesunder Milch. Ihre 130 Kühe sind eine robuste Rasse Braunvieh, „Zweinutzungsrinder“ genannt, die sowohl milch- als auch fleischbetont sind. Was nichts anderes heißt, als dass die Tiere durchaus irgendwann auf dem Teller landen.
Rosl ist die Seniorin bei den Allmendingers und kennt das Landleben aus dem Effeff. Zum Glück ist ihre Nachfolge mit Patricia, Otto, Otto junior und Isabell gesichert. © Don Ailinger
Dass die Milch- und Fleischversorgung auch in Zukunft sichergestellt wird, dafür wird die vierte Generation in der Familie sorgen: Otto junior und seine Schwester Isabell sind voll dabei. „Isa“, 21 Jahre jung, kommt dabei eine besondere Verantwortung zu: Seit Oktober 2022 ist sie zwei Jahre lang Baden-Württembergs Braunviehkönigin. Sie hält deutschlandweit und im benachbarten Ausland Reden, ist Ehrendame bei Prämierungen und darf bei Tierschauen die Preise an die Siegerkühe übergeben. Ihre Zukunft am Hof der Familie ist gesichert: „Hier habe ich den besten Arbeitsplatz. Er ist abwechslungsreich. Ich bin draußen und das ist besser, als im Büro zu sitzen.“ Bruder Otto sieht das genauso. Und beide sind sich sicher, dass sie den Hof weiterführen werden.
99 Hektar müssen verwaltet werden. Otto senior hat den Hof 1998 von seinem Vater Otto übernommen und seitdem investiert. „Man wächst wie die Fläche“, sagt er und kann bei einem Gang durch seinen Stall die verschiedenen Bauphasen seit 1900 zeigen. Seit 2016 führt er einen tierartgerechten Laufstall, die Tiere können raus und 15 davon haben das Vergnügen, ihren Sommer auf der Alm am Hochgrat zu verbringen. „Das ist gut für die Fitness.“ Ein Fütterroboter sorgt dafür, dass sie zur rechten Zeit ordentlich Nahrung aus eigenem Anbau bekommen, zwei Melkroboter erleichtern die Kühe um ihre Milch. Es gibt eine Abkalbebucht und in der Krankenbucht steht Mausi, mit 13 Jahren die älteste Kuh im Stall. Sie hat sich den Knöchel verknackst, „aber das wird schon wieder.“
Um Milch zu gewinnen, braucht’s Kühe, einen Stall und ein paar weitere Dinge, die die Arbeit leichter machen: Isa Allmendinger weiß das natürlich und kennt sich bestens mit der Technik und dem Melkroboter aus. © Don Ailinger
„Kein Produkt wird so gut überwacht wie die Milch“, sagt Otto Allmendinger, „das gilt inzwischen genauso für die Viecher.“ Und das sei gut so. Schließlich ginge es darum, die Ernährungssicherheit zu erhalten. Dabei haben die Allmendingers bei ihrem Tun durchaus auch die Umwelt im Fokus: Der Hof verfügt über eine eigene Wasserversorgung, auf dem Dach schimmert eine 100-kWp-Photovoltaikanlage – eine weitere ist in Planung –, der Ökostrom kommt von der TWS, eine Hackschnitzelanlage sorgt für Wärme und die Abwärme aus der Milch für heißes Wasser. „Das Einzige, was wir brauchen, ist Diesel für unsere Traktoren.“ Und dafür gibt es sicher auch bald eine nachhaltige Lösung.
Die „Zukunftskommission Landwirtschaft“ schreibt: „Diese Zukunftsvision verbindet die Bedürfnisse von landwirtschaftlichen Erzeuger*innen und Verbraucher*innen, Natur, Umwelt und kommenden Generationen weltweit. Ihr zufolge sollten Landwirt*innen breite gesellschaftliche Anerkennung inkl. finanzieller Entlohnung erhalten, denn sie übernehmen gesellschaftliche und ökologische Verantwortung. In Zukunft trägt die Landwirtschaft zum Erhalt der Biodiversität bei und wirkt positiv auf unser Klima.“
„Kein Produkt wird so gut überwacht wie die Milch, das gilt inzwischen genauso für die Viecher.“
Otto Allmendinger
Landwirt aus der Schnabelau bei Amtzell
Landwirtschaft als Urthema
Im Oktober 2022 hat die Duale Hochschule Ravensburg (DHBW) einen neuen Studiengang ins Leben gerufen: die Agrarwirtschaft. Geleitet wird er von Dr. Jonas Weber, seines Zeichens Professor, in Bad Waldsee auf einem Ökohof aufgewachsen und jemand, dem „die Landwirtschaft als Ganzes am Herzen liegt“. Und dem es vor allem darum geht, dass diese eine Zukunft hat. „Zum Glück gibt es junge Menschen, die sich mit Zukunft, Umwelt und Ernährung beschäftigen. Die sehen die Landwirtschaft als eine Art Urthema, das sie interessiert.“ In seinem Studiengang will er Theorie und Praxis in der Agrarwirtschaft zusammenbringen, „und da gehören Studierende natürlich auch mal in den Stall.“ Ziel sei es, jungen Menschen einerseits den direkten Zugang zur Landwirtschaft zu ermöglichen. Andererseits brauchen gleichzeitig die vor- und nachgelagerten Branchen Nachwuchs. „Dazu gehört beispielsweise auch der Einkäufer im Supermarkt, der sich auskennen sollte.“
„Zum Glück gibt es junge Menschen, die sich mit Zukunft, Umwelt und Ernährung beschäftigen.“
Dr. Jonas Weber
Studiengangsleiter Agrarwirtschaft DHBW Ravensburg
In Webers Studiengang werden die ökologische und die konventionelle Landwirtschaft gleichberechtigt abgebildet und „auch ich habe nicht die einzig wahre Lösung, wie die Landwirtschaft unserer Zukunft aussieht.“ Die Studierenden sollen sich selbst ein Bild machen. Die große Aufgabe der jetzigen und kommenden Generation von Landwirten ist es laut Weber, die Menschen und damit die Verbraucher wieder an die Landwirtschaft heranzuführen und ein Verständnis füreinander zu entwickeln. „Was ich mir wünsche? Dass die Branche krisenstabiler wird, Landwirte wieder stärker hinter ihren Produkten stehen und letztendlich in der Region für die Region wirtschaften.“ Denn Oberschwaben biete nun mal ganz viel, und davon sollten wir alle etwas haben – heute und in Zukunft.
Der Studiengang Agrarwirtschaft ist noch sehr jung, aber dafür sieht Dr. Jonas Weber viele Möglichkeiten für die Studierenden. © Don Ailinger
Making of #meinschussental Landwirtschaft ist systemrelevant © Don Ailinger