Bierkultur in Oberschwaben

Gutes aus der Region – für die Region

vom 20. Sep 2021
Autor: Stefan Blank
Fotos: Anja Köhler, Don Ailinger
© Don Ailinger
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„Hopfen und Malz – Gott erhalt’s“: Den Spruch kennen nicht nur geneigte Biertrinker*innen. Dahinter steckt die Gedankenwelt des Reinheitsgebots von 1516, des wohl ersten Verbraucherschutzgesetzes der Welt. Bis heute ist Bier ein Stück Kulturgeschichte – auch und vor allem in Oberschwaben.

Bier steht für Gemütlichkeit und Geselligkeit, Bier muss „rein“ sein – und rein dürfen ausschließlich Wasser, Hopfen, Malz und Hefe. 95 Liter dieses einmaligen Getränks fließen im Durchschnitt allein in Deutschland pro Kopf und Jahr durch durstige Kehlen, hergestellt von gut 1.500 Brauereien, glücklicherweise befinden sich davon etliche in Oberschwaben. Hopfen- und Getreidefelder prägen bis heute unsere Landschaft. Brauereien waren stets ein fester Bestandteil klösterlicher und adliger Kultur und es gab viele Braubetriebe mit eigenem Ausschank. Diese Traditionen wurden hier erhalten und gepflegt oder neu belebt, wie rund um Tettnang, in Ravensburg, Weingarten und Leutkirch. Also: „Hopfen und Malz – nei in dr Hals“ – eine Ode auf das oberschwäbische Bier.

Vier Bestandteile also machen das Bier aus: Wasser, Hopfen, Malz und Hefe. Unser Wasser kommt aus heimischen Quellen rund um das Schussental. Für Trinkwasser gelten dank der Deutschen Trinkwasserverordnung sehr hohe Qualitätsmaßstäbe und strenge Grenzwerte. Die Reinheit unseres Wassers wäre also geklärt. Jetzt zum Hopfen.

Der Hopfen ist eine Schlingpflanze und nebenbei gleich nach dem Bambus die am schnellsten wachsende Pflanze der Welt: In 24 Stunden klettert sie bis zu 30 Zentimeter an den Rankdrähten hinauf, auf acht Metern Höhe ist dann Schluss. Die Hopfendolden sorgen dafür, dass das Bier haltbar wird und verleihen dem Getränk Aroma, Eleganz und den frisch-herben Geschmack. Rund um Tettnang liegt – nach der Hallertau im Bayerischen – das zweitgrößte Hopfenanbaugebiet Deutschlands mit 125 Hopfenbauer*innen, die 1.500 Hektar Fläche bewirtschaften. Mittendrin, in Wellmutsweiler, kümmern sich die Bio-Hopfenbauern Peter und Johannes Bentele in zweiter und dritter Generation um ihre sechs Hopfensorten auf sieben Hektar Fläche.

Johannes und Peter Bentele sind überzeugt von ihrem Biodiversitätskonzept. Der Erfolg gibt ihnen recht: Biohopfen ist heute gefragter denn je. © Don Ailinger
Schon 1984 setzte Peter Bentele als Pionier und „mehr als Idealist denn als Betriebswirt“ auf den Anbau nach den biologisch-dynamischen Grundlagen nach Demeter, das hat sich bis heute nicht geändert. Sohn Johannes ist ganz auf der Linie seines Vaters und handelt außerdem nach den Vorstellungen der baden-württembergischen Landesregierung, im Sinne des Biodiversitätsstärkungsgesetzes für Natur um Umwelt: Es werden nur organische Dünger verwendet, gegen Pilze setzen die Benteles Mineralien wie Schwefel ein und Neembaumöl, um Schädlinge zu vertreiben. Jede zweite Reihe in ihren Hopfenfeldern ist begrünt, damit hier Insekten, Vögel und andere Tiere ein Zuhause finden können. Auch fing Peter Bentele schon Anfang der 1980er-Jahre an, Hecken und Blühstreifen zu pflanzen, um seinen Hopfen „vor Wind und Wetter zu schützen“. Dem Hopfen und seinen 150 Aromastoffen tut das gut und die Brauereien honorieren das Engagement der Benteles: „Wir beliefern 25 Brauereien in ganz Europa“, sagt Johannes, „dazu gehören natürlich auch regionale Brauer, mit denen wir persönlich zu tun haben.“

„Warum der Hopfenanbau rund um Tettnang so gut funktioniert? Hopfen braucht leichten Boden und reichlich Regen. Er gedeiht am besten da, wo der Wein aufhört, in einem Obstgartenklima eben wie hier bei uns.“ 

Johannes Bentele
Demeter-Hopfenbauer aus Tettnang

Zu den regionalen Brauern, die Tettnanger Hopfen beziehen, gehört die Brauerei Leibinger in Ravensburg und verspricht „Heimatliebe seit 1894“ – und das in der vierten Generation. „Wir verwenden die Hopfenpellets Typ 45 aus Tettnang“, sagt Braumeister René Rainer und erklärt auch gleich, was der dritte Bestandteil des Biers macht, das Malz: „Malz als Getreide verleiht dem Bier Farbe und Körper. Die Getreidekörner der Gerste enthalten Stärke, die in Zucker umgewandelt wird. Dieser muss dann mithilfe der Hefe vergären und bringt Alkohol und Kohlensäure in unser Bier.“

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„Die Menschen hier schätzen regionales Bier. Ich kenne keine andere Region, wo das so stark ausgeprägt ist wie in Oberschwaben.“ 

Michael Leibinger
Geschäftsführer der Brauerei Leibinger
Die Brauerei Leibinger hat sich klar der Heimat verpflichtet: „Wir kaufen unsere Rohstoffe nur in der Region ein“, sagt Brauereichef Michael Leibinger, „maximal 30 Kilometer um den Schornstein. Und wir verkaufen auch nur hier.“ Leibinger kennt alle seine Wirte persönlich, genauso wie seine gut 70 Mitarbeiter*innen in Brauerei und Logistik. „Uns geht’s nicht ums Volumen, wir bleiben bei unseren Wurzeln und brauen Biere aus der Region für die Region.“ Da liegt es auf der Hand, dass Leibinger den vierten Grundstoff des Biers, die Hefe, komplett selbst züchtet. Dank einer Kreislaufwirtschaft kann die Brauerei auch auf eigenes Wasser setzen: Der Kohlenbrunnen am Ravensburger Bierbuckel sprudelt dank des über den Boden filtrierten Wassers aus der Brauerei.

Acht Stunden dauert das Brauen, die Gärung eine Woche, die anschließende Lagerung nochmal sechs bis acht Wochen. Braumeister Rainer sieht das als klares Alleinstellungsmerkmal der kleinen und regionalen Brauereien. „Auch das unterscheidet uns von den großen Marken: Die machen Bier in sieben Tagen, wir in sieben Wochen. Also traditionelles Brauen ohne Beschleunigung.“

René Rainer ist Braumeister bei Leibinger und steht auf traditionelles Brauen ohne Beschleunigung. Dazu gehört als Grundzutat beispielsweise für das „Leibinger Helle“ der Hopfen aus Tettnang. © Anja Köhler

Ohne Beschleunigung machen auch Martin Hipp und Andreas Kunzemann aus dem benachbarten Weingarten ihr Bier. 2014 haben sie als leidenschaftliche Biertrinker in der heimischen Garage die „Altdorfer Klosterbrauerei“ ins Leben gerufen und wollen damit an die Biertradition des Klosters Weingarten anknüpfen. Sie forschten in der Heimatgeschichte und fanden heraus, dass es im Kloster um 1771 zwei Biersorten gab: „Ordinari“ für den Wochentag und „Konvent“ für Sonn- und Feiertage.

„Bierbrauen ist so unglaublich spannend. Und mit dem Ergebnis, dem ‚Konvent‘ als reinem, genussvollem Heimatbier, haben sich alle unsere Anstrengungen sicher gelohnt.“ 

Martin Hipp
Gründer und Bierbrauer der Altdorfer Klosterbrauerei

„Konvent“ also sollte ihre Kreation heißen. In der heimischen Garage wurde getüftelt und probiert, nach zehn Wochen gab es 20 Liter Bier zur Belohnung. Hipp und Kunzemann wollten mehr und wandten sich an den Braumeister Florian Angele. Mit seiner Unterstützung konnten sie die 1.000-Liter-Anlage der Schlossbrauerei Aulendorf nutzen. Und im Januar 2017 war es so weit: Im Alten Ochsen in Weingarten wurde erstmals „Konvent“ vom Fass ausgeschenkt, weitere Weingartener Gastronomien folgten. Doch bald schloss der Alte Ochsen. Den beiden Hobbybierbrauern wurde klar, dass sie jetzt auf die Flaschenproduktion für eine breitere Öffentlichkeit setzen mussten und sie fanden im bayerischen Seeon einen Brauereipartner. Das Etikett steht, die ersten 1.500 Flaschen sind bereits aufgezogen und im Herbst 2021 soll es losgehen mit dem Verkauf. „Konvent“ ist übrigens ein Märzenbier und passt laut Martin Hipp ideal zu Ratatouille, Steinpilz-Knödeln oder Zwiebelrostbraten.

Martin Hipp hat das Bierbrauen in der heimischen Garage und am Mostfass geübt. Heute lagert er dort die mit dem Märzenbier „Konvent“ abgefüllten Flaschen. © Don Ailinger

Den passenden „Allgäuer Zwiebelrostbraten vom PrimaRind“ gibt es im Brauereigasthof Mohren in Leutkirch. Gottfried Härle, Chef der Brauerei, kann sich seit Mitte Juli 2021 und ausgezeichnet mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg ganz offiziell „Bierbrauer mit ökologischem Gewissen“ nennen. 2003 braute er sein erstes Bier aus rein ökologischen Rohstoffen, heute sind sechs von 15 Biersorten bio. Seine Rohstoffe kauft Härle ausschließlich regional ein, beispielsweise bei den Benteles in Wellmutsweiler. Seit Jahren ist die gesamte Brauerei komplett auf regenerative Energieträger umgestellt und bezieht – neben dem Eigenstrom aus den fünf hauseigenen Photovoltaikanlagen – den hundertprozentigen Ökostrom von der TWS. Als erste Brauerei in Deutschland braut und vertreibt Härle so seit dem 1. Januar 2009 das Bier zu hundert Prozent klimaneutral und spart so jährlich insgesamt rund 900 Tonnen CO2 ein. 

Gottfried Härle und sein naturtrübes „Landzüngle“: ein Bio-Erfolgsrezept mit großer Strahlkraft über Oberschwaben hinaus. © Anja Köhler
Gottfried Härle setzte sich schon als 17-Jähriger mit den Grenzen des Wachstums auseinander und wollte sich als Brauereibesitzer in der vierten Generation nie dem „Diktat des Ökonomischen“ unterwerfen. „Dazu stehe ich konsequent.“ Um Nachhaltigkeit aus Überzeugung geht es ihm, was er als „den einzig zukunftsfähigen Weg“ bezeichnet. Dabei schließt er die Menschen mit ein. Dazu gehören neben seinen rund 50 Mitarbeiter*innen auch die gut 300 Gastronomien, die die Brauerei beliefert. Als Mitbegründer der Initiative „Bleiberecht durch Arbeit“ beschäftigt er Menschen aus Gambia, Kamerun, Syrien und dem Irak.

„Es braucht Leuchttürme, um andere Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit zu bewegen. Wir sind einer davon und sagen: Es geht!“ 

Gottfried Härle
Geschäftsführer der Brauerei Härle
Für seine Gastronomen hatte er sich in den Coronazeiten etwas Besonderes ausgedacht: Sein erstes Biobier, das naturtrübe „Landzüngle“, das es bisher ausschließlich am Zapfhahn von 120 Wirtschaften in Oberschwaben und dem Allgäu gab, zog er auf Flaschen und verkaufte die Kiste für stolze 25 Euro an Endverbraucher*innen. Das Landzüngle in der Flasche lief gut und Härle konnte den Mehrerlös an die Gastronomen weitergeben – in Form von Gratis-Biobier aus der Region und für die Region.

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