Auch müssen im Fernwärmenetz hohe Temperaturen bereitgestellt werden, weil die historischen Gebäude der Altstadt kaum energetisch saniert werden können. Wo diese Wärme herkommt und wie sie erzeugt wird, ist kein Geheimnis, aber eine durchaus spannende Geschichte. Eine Person, die sich hervorragend damit auskennt, ist Miriam Sepke-Vogt, Projektmanagerin Wärme- und Energieversorgung bei der TWS.
Wir haben bei einem gemeinsamen Besuch hinters Parkhaus Rauenegg geblickt, mächtige Rohrleitung bestaunt, Pläne angeschaut und uns zeigen lassen, wo die Wärme der Zukunft in Ravensburg herkommt.
Miriam Sepke-Vogt (33) ist seit 2021 Projektmanagerin Wärme- und Energieversorgung bei der TWS, Überzeugungstäterin und möchte ihren beiden Kindern eine lebenswerte Welt hinterlassen. Gleichzeitig will sie eine gute Antwort parat haben, wenn ihre Enkelkinder einmal fragen: „Ihr wusstet doch genau, was da auf uns zu rollt. Was habt ihr damals eigentlich getan gegen die Klimakrise?“ Also geht sie den Dingen auf den Grund. Sie hat Verfahrenstechnik und Energietechnik studiert, ist seit fünf Jahren bei der TWS und sieht tagtäglich ihre Mission darin, Prozesse und Vorgehensweisen neu zu gestalten, neu zu denken und neu zu machen. Eines ihrer Projekte, die Fernwärme für die Innenstadt von Ravensburg, ist in vollem Gange. Ein ihr besonders am Herzen liegendes Thema, das Auswirkungen auf die Zukunft des Schussen-tals haben wird, ist die kommunale Wärmeplanung für Ravensburg und Weingarten.
„Durch die aktuellen politischen Entscheidungen sehe ich die TWS
auf diesem Kurs gestärkt, wir machen
das Richtige zur richtigen Zeit.“
Miriam Sepke-Vogt
Projektmanagerin Wärme- und Energieversorgung bei der TWS
Klimafreundliche Wärmeversorgung in der Altstadt
Ein Fernwärmenetz aufzubauen, das ist keine ganz neue Idee. Sie kommt aus Amerika: 1879 wurde in New York eine Gesellschaft zum Bau von Fernheizwerken gegründet, die „HollySteam Combination Ltd.“. Von 1879 bis 1889 erteilte sie Lizenzen für den öffentlichen Fernheizbetrieb in New York. Nur wenig später wurden die ersten größeren Fernheizungen zur Eigenversorgung in Deutschland gebaut. Meist waren es Krankenhäuser, die wegen der Feuergefahr und aus Hygienegründen keine Einzelfeuerstätten in den Krankenzimmern mehr haben wollten und diesen Weg gingen. 1888 errichtete Hamburg das erste Elektrizitätswerk und die Stadt versorgte ab 1893 das neu erbaute Rathaus mit Wärme – als erste öffentliche Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage Deutschlands. Laut dem Fernwärmeverband AGFW e. V. gibt es heute gut 3800 Fernwärmenetze im Bundesgebiet, die von rund 500 Unternehmen betrieben werden. 2020 lag die Trassenlänge insgesamt bei über 31.000 Kilometern. Jedes Fernwärmenetz ist anders und immer etwas Besonderes.
„Was wir neu und anders machen und damit auch ein bisschen früher dran sind als andere Städte, ist, ein Wärmenetz aus dem Gedanken der klimafreundlichen Wärmeversorgung in einer Altstadt aufzubauen“, so Sepke-Vogt. Denn bestehende Wärmenetze nutzen überwiegend fossile Energien oder die Wärme des „Abfalls“ aus Kraftwerken. „In Ravensburg haben wir die seltene Gelegenheit, das Netz und die Erzeugung von Beginn an klimafreundlich zu konzipieren. Weniger als 85 Prozent Erneuerbare werden nie durch unser Netz fließen.“ Die geschätzten rund zehn Prozent Verluste in den Leitungen gleicht die TWS dadurch aus, dass die Anlagen effizienter laufen. Das Netz soll möglichst schnell in Betrieb gehen, damit konkret CO2 eingespart werden kann. „Gleichzeitig müssen wir die Erzeugung der Fernwärme von Null aufbauen und haben diese dementsprechend stufenweise konzipiert.“ Damit nicht genug, Sepke-Vogt und ihre Kolleg*innen haben weitergedacht: „Der Vorteil eines Wärmenetzes ist, dass die Wärmeerzeuger modular zugebaut und auch ausgetauscht werden können. So wollen wir später hier im Schussental die industrielle Abwärme über Großwärmepumpen nutzen und untersuchen das Potenzial der Tiefengeothermie. Diese Bausteine sollen später die Pelletcontainer am Hallenbad ablösen.“
Einsparung von Primärenergie durch KWK
Gesamtwirkungsgrad bei getrennter Erzeugung von Strom und Wärme im Vergleich zum BHKW. Die Verluste sind bei der getrennten Erzeugung ca. 60 % höher.
Große Pläne bilden immer die Grundlage für solch ein Projekt. Und ganz nach Plan steht das BHKW ordnungsgemäß an seinem Platz – weitere werden folgen. © Don Ailinger
„Das wirklich geniale an der Idee“
2023 hat die TWS, um das Fernwärmenetz „zu füttern“, ein Biomethan-BHKW (Blockheizkraftwerk) ins Parkhaus Rauenegg gebaut. Das erste BHKW steht bereits im Keller, zwei weitere folgen bis Ende 2024. Umgeben sind sie von fetten Rohrleitungen mit et-
lichen Isolierschichten, mehreren Kilometern Verkabelung, bisher einer Trafostation und allem, was ein „Kraftwerk“ eben so ausmacht. Denn nichts anderes ist ein BHKW.
Ein Blockheizkraftwerk besteht, wie bekannt aus dem Auto mit Benzin- oder Dieselantrieb, aus einem Verbrennungsmotor, einem Generator und einem Abgaswärmetauscher und mehreren Wärmeübertragern. Diese übertragen Wärme der Verbrennung im Motor auf das Wasser des Fernwärmenetzes. Während der Motor in unserem Fall Biogas verbrennt, um mechanische Energie zu erzeugen, wandelt der Generator diese in Strom um, den die TWS ins Netz einspeist. Der Gesamt-Wirkungsgrad von Strom und Wärme im BHKW liegt bei gesamt über 90 Prozent. Bis das heiße Wasser durch die Leitungen fließt, wird es in Pufferspeichern „zwischengelagert“.
Von denen stehen zwei prächtige Exemplare in Grasgrün hinter dem Parkhaus. Bis zu sechs sollen es werden. „Und das ist das wirklich geniale an der Idee: In den Pufferspeichern befindet sich erwärmtes Wasser, das es uns ermöglicht, die Laufzeiten der BHKW vom Wärmebedarf zu entkoppeln. Konkret: Sie speichern die erzeugte Wärme zwischen und wir können sie zu einem späteren Zeitpunkt als Warmwasser oder Heizwasser verwenden.“ Davon ganz abgesehen kann das Netz allein mit den Puffern bis zu 30 Stunden mit Wärme versorgt werden. Da in einem BHKW ja immer Strom und Wärme gleichzeitig erzeugt werden, schaltet die TWS das BHKW ein, wenn im Stromnetz Bedarf herrscht, weil z. B. gerade keine Sonne scheint und kein Wind weht. Superisoliert sind die Speicher und sollen später von einem bepflanzten Gerüst umgeben werden – sie werden quasi unsichtbar.
Das BHKW wird derzeit mit Biomethan betrieben, also aufbereitetem Biogas, das überwiegend aus Abfallstoffen und Gülle hergestellt wird. Momentan kauft die TWS das Biomethan deutschlandweit ein. Mittelfristig aber soll es aus der Region kommen, die nötigen Vorgespräche laufen, Projektideen sind skizziert. „Langfristig können wir unsere Kraftwerke auf 100 Prozent Wasserstoff umrüsten. Damit tragen sie auch zur saisonalen Sektorenkopplung bei – wenn im Sommer in Photovoltaikanlagen Wasserstoff erzeugt und dieser im Winter zur Gewinnung von Strom und Wärme im BHKW verbrannt wird.“
Die grünen Pufferspeicher sind weithin sichtbar, werden aber noch verkleidet. Miriam Sepke-Vogt ist zufrieden mit dem Projekt und der Zusammenarbeit der beteiligten Stellen. © Don Ailinger