Energie ist notwendig für unser tägliches Leben – eine Betrachtung

„Handy laden ist nicht selbstverständlich.“

vom 15. Mrz 2024
Autor: Stefan Blank
Fotos: Don Ailinger
© Don Ailinger
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Energie ist nicht nur eine der zentralen Größen der Physik und kann in den verschiedensten Formen existieren, sondern sie ist auch notwendig für unser tägliches Leben. Denn Energie wird für alle natürlichen Vorgänge gebraucht und spielt sowohl beim Antrieb von Maschinen als auch als Licht- und Wärmequelle eine große Rolle. Dabei gehen wir davon aus, dass die elektrische Energie 24 Stunden am Tag aus der Steckdose kommt, sieben Tage die Woche.

Aber ist das wirklich so einfach? Wo kommt sie her, was macht sie? Können wir uns auch in Zukunft auf eine zuverlässige Lieferung verlassen? Fragen über Fragen. Wir haben mit Menschen aus dem Schussental gesprochen, die sich tagtäglich mit allen Themen rund um die Energie beschäftigen und haben reichlich Antworten bekommen.

Was ist eigentlich Energie? Da stellen wir uns mal ganz dumm, fragen zeitgemäß Chat GPT und bitten um eine kurze Antwort. Die lautet: „Energie ist die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten oder Veränderungen in einem System zu bewirken. Es existieren verschiedene Formen von Energie, darunter kinetische Energie (durch Bewegung), potenzielle Energie (aufgrund der Position in einem Feld), thermische Energie (aufgrund von Temperatur), elektrische Energie (durch Elektronenfluss), chemische Energie (in chemischen Verbindungen) und Kernenergie (in Atomkernen). Das Gesetz der Energieerhaltung besagt, dass die Gesamtenergie in einem isolierten System konstant bleibt, während sie zwischen verschiedenen Formen umgewandelt werden kann. Energie spielt eine grundlegende Rolle in physikalischen Prozessen und hat weitreichende Auswirkungen in vielen Aspekten des täglichen Lebens.“ Das klingt staubtrocken und nach Physikunterricht, 8. Klasse. Besser ist es sicher, sich die Energie von einem lebenden Menschen voller Energie erklären zu lassen. Am besten von einem, der sich sein Leben lang mit solch abstrakten Themen beschäftigt hat.

Florian Theilmann von der PH Weingarten kann Energie in einen Gesamtzusammenhang einordnen und bringt das abstrakte Thema mit kreativen Erklärungen näher. © Don Ailinger

Der Physiker

Da die weltbekannten theoretischen Physiker Sheldon Cooper und Leonard Hofstadter aus der US-amerikanischen Sitcom „Big Bang Theory“ gerade nicht zur Verfügung stehen, kommt Florian Theilmann ins Spiel. Er ist Professor, Doktor und Fachsprecher der Physik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten und empfängt in seiner „Physikerhöhle“. Von der Decke hängt Albert Einstein, als Stofffigur sitzend auf einem Stuhl und mit dem Kopf nach unten. Wohl ein Experiment, das mit Australien zu tun hatte, also „down under“ und eine erste Annäherung an die Art, wie Physiker*innen denken. „Also Energie,“, sagt er, schnappt sich die Kreide und malt weit ausholend an die Tafel, „Energie lässt sich gut am Menschen darstellen.“ Er skizziert einen Jogger, der schwitzt, schnauft und dessen Puls hoch ist. „Hier gibt es offensichtlich reichlich physiologische Aktivität.“ Das krasse Gegenteil ist der Jogger, wenn er sich nach der Betätigung ausruht. Da tut sich kaum etwas, so scheint’s. „Wir verbinden Energie mit Aktivität. Der physikalische Begriff zur Aktivität ist aber eher die Leistung, das, was bei Geräten in Watt oder Kilowatt angegeben wird. Aber vor dem Joggen musste der Gute etwas essen und trinken, er musste fit sein. Das ist das Vorher. Und nach dem Joggen ist er müde, hat vielleicht abgenommen und ist zufrieden. Das ist das Nachher. Die physikalischen Begriffe Energie, Leistung und Arbeit, das sind das Vorher (die Voraussetzung), das Hier und Jetzt (der Vorgang oder die Aktivität) und das Nachher (das Ergebnis). Für Nicht-Physiker*innen könnte das in einfachen Worten heißen: Damit überhaupt etwas passiert, damit etwas in Gang kommt, dafür braucht’s immer Energie. Beispiel Bogenschießen: Der Bogen wird gespannt, beim Loslassen geht der Pfeil ab. Energie! Aber was war die Voraussetzung, dass der Schütze den Bogen überhaupt spannen konnte? Ein gutes Frühstück? Muckibude? Und was passiert, wenn der Pfeil auftrifft? Geht da was kaputt? Vorgang 1, die Voraussetzung schaffen. Vorgang 2, das Spannen, gefolgt von Vorgang 3, dem Schuss, gefolgt von Vorgang 4, dem Treffer. Alles hängt voneinander ab. Aber wir Menschen arbeiten bei der Betrachtung von Energie meist nur mit dem Hier und Jetzt, der Momentaufnahme.“ Wir drücken also einfach auf den Knopf und weder der Prozess der Stromerzeugung noch die Vorbereitung noch die Folgen interessieren uns. Diese Einzelbetrachtung unter Vernachlässigung von vorher und nachher habe laut Theilmann Auswirkungen, und „dafür bezahlt die Menschheit.“

Denn um überhaupt elektrische Energie, die 24/7 aus der Steckdose kommt, bereitstellen zu können, haben wir spätestens seit dem Zeitalter der Industrialisierung Kohle verbrannt und Atommüll erzeugt. Wir haben das Waldsterben begünstigt, FCKW in die Atmosphäre geblasen und das Ozonloch hineingebohrt, mit langlebigen Chemikalien den Boden verseucht und den Klimawandel geschaffen. Die Energie wurde dabei laut Theilmann zu einer Dienstleistung, „die abgerechnet werden kann.“ Ursache und Wirkung lägen hier nicht beieinander. Ganz nach dem Motto: „Die Wirkung nutze ich hier, aber den Dreck macht bitte woanders.“

Theilmann geht noch weiter: „Die Menschen müssen erkennen, dass das Handyladen nicht selbstverständlich ist und wir Verantwortung übernehmen müssen für unser Tun.“ Wissenschaftler*innen, Ingenieur*innen und Techniker*innen können zwar an der Verbesserung der Effizienz arbeiten und Wirkungsgrade erhöhen, aber das Ziel kann nicht sein, dass alles weiterläuft wie bisher, der Konsum, die Naturzerstörung usw. Es geht für uns als Zivilisation wahrscheinlich immer mehr darum, wieder verzichten zu lernen. Wir brauchen für eine lebenswerte Zukunft wohl beides, Wärmepumpen und Energiesparen. Und wir sollten anstreben, Produkte länger zu nutzen, mehr gebrauchte Sachen kaufen, auf Reparierbarkeit und Nachhaltigkeit achten. Auch ein E-Auto ist nicht automatisch die geniale Lösung.
Denn eine Gesamtbetrachtung zeigt: Die Produktion von E-Autos ist energieintensiv. Sie erfordert in den meisten Fällen zusätzliche Stoffe wie Kobalt, Nickel und seltene Erden, deren Abbau mit großen Umweltschäden einhergehen kann. Über die Entsorgung der schadstoffbehafteten Fahrzeuge haben wir uns längst noch nicht ausreichend Gedanken gemacht. Und der Strom, mit dem E-Autos fahren, kommt derzeit nur zum Teil aus erneuerbaren Energien. Glücklicherweise gibt es eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes, die E-Mobilität heute in ein besseres Licht rückt: So sind im Jahr 2020 zugelassene E-Autos etwa 40 Prozent weniger klimaschädlich als Autos mit Benzinmotor. Bis 2030 sei basierend auf dem Ausbau erneuerbarer Energien ein Anstieg auf bis zu 55 Prozent weniger Klimaschädlichkeit möglich.

Energie kann uns also nicht egal sein – heute und in Zukunft. Denn wenn wir uns vorstellen, dass wir in der Zukunft wirklich alles elektrisch machen – auch die Dinge, die heute noch nicht elektrisch gehen – „dann steuern wir auf eine Welt zu“, so Theilmann, „in der fast unbegrenzt Energie zur Verfügung stehen muss. Es kann sein, dass das mit erneuerbaren Energien geht. Aber wir müssen trotzdem den gesamten ökologischen Fußabdruck im Blick behalten. Ich halte es nicht für sicher, dass es da ein Happy End geben wird. Wir brauchen als Menschheit wirklich einen guten Plan.“

Helmut Hertle, Geschäftsführer der TWS Netz GmbH, plant für das Schussental die Energieversorgung der Gegenwart und Zukunft. © Don Ailinger

Der Planer

Sprechen wir also mit jemanden, der einen Plan hat. Denn wenn wir konsequent über die Energieversorgung und damit das gesamte Wirtschaftssystem der Zukunft nachdenken, so gibt es wohl nur eine Lösung: Wir verzichten auf Kohlekraftwerke, deren Abgase uns die Luft zum Atmen rauben und die Atmosphäre mit Kohlendioxid belasten. Wir verzichten auf Erdgas aus Sibirien und beziehen kein Öl mehr aus Saudi-Arabien. Was bleibt?

Die älteste Energiequelle der Menschheit ist die Sonne. Für viele Jahrtausende war sie die einzige Wärme- und Lichtquelle auf der Erde. Dann lernten die Menschen, Feuer zu machen. Die Sonne ist voller Energie, die wir nutzen sollten – auch und vor allem in Oberschwaben, im Schussental. Der Landkreis Ravensburg bringt es auf rund 1.700 Sonnenstunden jährlich. Viel Potenzial für Solarenergie. Ehrgeizig hat sich der Landkreis daher zum Ziel gesteckt „Solarkreis Nummer eins“ im Land zu werden. Konkret aber sind mit lediglich 20 Prozent nach wie vor viel zu wenig Dachflächen mit einer PV–Anlage im Landkreis Ravensburg ausgestattet.

Wir fragen Helmut Hertle, Geschäftsführer der TWS Netz GmbH, in einem ausführlichen Interview: Welche Bedeutung hat heute die Photovoltaik für das Schussental und was wäre in Zukunft möglich? „Wir haben zusammen mit der Stadt Ravensburg eine Kooperation geschlossen, bei der wir auf städtischen Gebäuden, auch um den städtischen Haushalt zu entlasten, investieren und das mit einem Pacht-Modell. So kann die Stadt frei über den Strom verfügen. Wir sind gerade dabei, hier einen Stufenplan aufzubauen. Wir haben jetzt einen enormen Anstieg der Anfragen für Einspeisungen, mehr als eine Vervierfachung innerhalb der letzten zwei Jahre, teilweise auch für große Anlagen. Und wir sehen auch, dass sehr viele Anlagen gänzlich oder nahezu in Betrieb gegangen sind. Also es tut sich da enorm viel. Und ich glaube, da sind wir ganz gut unterwegs, also nicht nur hier in Ravensburg-Weingarten, sondern auch in Deutschland.“

„Ich glaube, da sind wir ganz gut unterwegs, also nicht nur hier in Ravensburg / Weingarten, sondern auch in Deutschland.“

Helmut Hertle
Geschäftsführer TWS Netz GmbH

Michael Maucher von der Energieagentur möchte mit Stammtisch-Weisheiten aufräumen und erklärt einfach und verständlich wie Energie auch in Zukunft bezahlbar bleibt. © Don Ailinger

Der Praktiker

Da ist er einer Meinung mit Michael Maucher von der Ravensburger Energieagentur. „Der Anteil an erneuerbarem Strom wird ja immer größer. Heute haben wir schon einen Anteil von 50 Prozent, 2030 werden es 80 Prozent sein. Photovoltaik und Windenergie, die sich gut ergänzen, tragen schon längst ihren Teil dazu bei.“ Und damit Dynamik im Geschehen bleibt, bildet Maucher gemeinsam mit dem Energiebündnis Bad Waldsee/Bad Wurzach und dem Landratsamt ehrenamtliche Photovoltaik-Scouts aus. Dabei handelt es sich um Privatpersonen, die ihre Erfahrungen mit der Nutzung von Sonnenenergie an interessierte Eigenheimbesitzer*innen weitergeben und somit einen Teil zur Energiewende im Landkreis Ravensburg beitragen.

Heute sind mehr als 30 PV-Scouts in der Region unterwegs. Sie begutachten die Dächer, berichten aus eigenen Erfahrungen und geben Informationen und Tipps weiter, damit die Photovoltaikanlage schließlich in die Tat umgesetzt wird – und der erneuerbare Stromanteil weiter steigt. Das kommt an: Im Jahr 2022 gab es 148 Beratungen, 2023 waren es 163. Energieberater Maucher sieht beispielsweise auch großes Potenzial beim Thema Energieerzeugung durch Balkon-Photovoltaik. „Das ist ein niederschwelliges Angebot, das kann sich jeder leisten. Und überhaupt muss die Energie nach wie vor für alle und jeden bezahlbar bleiben.“ Die Zukunft der Energie sieht er in der Diversifizierung, „die Vielfalt macht’s.“ Das heißt: Wir sollten auf viele Pferde setzen, wenn es um die nachhaltige Energieerzeugung geht. Dazu gehören Photovoltaik und Windkraft, Fernwärmenetze und Wärmepumpen, Wasserkraft, Biomasse und Geothermie – das könnte die „energetische Zukunft“ sein.

Und aufs Schussental bezogen, vielleicht in 20 und 50 Jahren, was würde Helmut Hertle von der TWS Netz GmbH persönlich glücklich machen? „Ganz einfach. Wenn wir sagen können, dass wir in 20 Jahren hier im Schussental Energie-Autarkie, also Energieunabhängigkeit, erreicht haben und CO2-neutral sind. Also wenn wir das hinkriegen mit dem Mix aus Wind und Sonne, das wäre etwas. Da müssen wir unsere ganze Kraft hineinstecken und erreichen, dass wir Energie für uns erzeugen und gleichzeitig einen Überschuss schaffen. Ich glaube, das schaffen wir. Und in 50 Jahren werden wir so weit sein, dass wir über unsere Energie und deren Quellen gar nicht mehr diskutieren müssen.“

„ Der Anteil an erneuerbarem Strom wird ja immer größer. Heute haben wir schon einen Anteil von 50 Prozent,2030 werden es 80 Prozent sein. “

Michael Maucher
Energieagentur Ravensburg gGmbH

Making of #meinschussental – Handy laden ist nicht selbstverständlich © Don Ailinger

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