Die Digitalisierung des Alltags im Schussental

Die Zukunft lebenswert gestalten

vom 15. Mai 2023
Autor: Stefan Blank
Fotos: Don Ailinger, Kilian Bendel
Zukunft Digitalisierung im Schussental
© Don Ailinger
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Die Coronapandemie hat es an den Tag gebracht: Wenn es
um die Digitalisierung des Alltags geht, wurde in Deutschland über Jahrzehnte gezögert und gezaudert. So kam nur eine überschaubare Anzahl von Schulen damit zurecht, von heute auf morgen auf digitale Bildung umzustellen.

Dabei reden wir von nicht weniger als der vielleicht größten Herausforderung, vor der deutsche Schulen stehen: einen entscheidenden Wandel des Lernens und Unterrichts, der Verwaltung und des gesamten Schullebens herbeizuführen und damit junge Menschen auf ein digitales Dasein vorzubereiten. Denn dort erwartet sie häufig „Arbeit 4.0“ oder die „4. Industrielle Revolution“ – hochgradig digitalisierte Unternehmen, die mit Enterprise-Resource-Planning (ERP), Computern und Internet Arbeits- und Geschäftsprozesse vereinfachen, beschleunigen und damit eine höhere Wettbewerbsfähigkeit anstreben.

Wir wollten erfahren, wie es im Schussental um die Digitalisierung steht. Dabei trafen wir Menschen, die die Zukunft der Schule und damit der Heranwachsenden im Auge haben, die Arbeit 4.0 leben, die die Prozesse dorthin überprüfen und die dafür sorgen, dass die Ergebnisse bedarfsgerecht bei der Bevölkerung ankommen.

 

Das Förderprogramm „DigitalPakt Schule 2019–2024“ von Bund und Ländern sollte mit einem großen Wumms einschlagen. Nicht weniger als 5 Milliarden Euro Steuergelder werden über die Jahre eingesetzt, um die Leistungsfähigkeit der digitalen Bildungsinfrastruktur an Schulen zu stärken und so die Grundlagen zum Erwerb von digitalen Kompetenzen nachhaltig zu verbessern. Baden-Württemberg erhielt 650 Millionen Euro, bis zum Landkreis Ravensburg gelangten davon 4,5 Millionen Euro. 20 Prozent müssen selbst erbracht werden, damit die Fördergelder fließen.

Um die Verwendung dieser Gelder kümmert sich Claudia Roßmann, Leiterin des Projekts „Digitalisierung von Schule und Unterricht“ am Landratsamt Ravensburg. Sie sorgt dafür, dass Pläne und Budgets eingehalten und ausgeschöpft, Programme und Vereinbarungen beachtet, Plansolls erfüllt, Workshops abgehalten, Umfragen ausgewertet und Menschen überzeugt werden. „Und dann fragen mich Leute, warum das denn alles so lang dauere mit der Digitalisierung an unseren Schulen“, sagt sie und breitet Beschlussvorlagen, Beschaffungskonzepte, Protokolle, Aktennotizen, Arbeitspapiere und Präsentationen auf dem Tisch aus. „Im Juli 2019 war ich die einzige, die das Thema auf dem Schreibtisch hatte, im Oktober und November 2019 kamen zwei Kollegen aus der IT dazu.“

 

Projektleiterin Claudia Roßmann und Kollege Thomas Gabriel sorgen mit dafür, dass die gewerblichen Schulen digitalisiert werden – aber „Schritt für Schritt“.

Christian Hänsch ist IT-Systemadministrator beim Landratsamt Ravensburg und kennt sich hervorragend aus mit digitalen Tafeln, Dokumentenkameras und Tablets. Gemeinsam mit Claudia Roßmann und Thomas Gabriel findet er Lösungen.

Seit 23 Jahren arbeitet Roßmann beim Landratsamt, studiert hat sie Kulturmanagement. „Es ist letztlich auch Projektmanagement und es macht Freude, mit Menschen umzugehen, am Puls der Zeit zu sein und nach vorne zu schauen.“

Seitdem sind Claudia Roßman, Thomas Gabriel und Christian Hänsch im Dienste der Digi-
talisierung unterwegs. Sie betreuen neun gewerbliche Schulen an 13 Standorten im gesamten Landkreis. Sie überprüfen, ob und wie  flächendeckendes WLAN eingesetzt und was bauseitig dafür alles getan werden muss. „Ertüchtigung der Netzwerk-Infrastruktur“ heißt der Vorgang und der dauert. „Da die meisten Schulgebäude aus den 1970er-Jahren stammen, ergeben sich bei den baulichen Maßnahmen zur Ertüchtigung der Netzwerk-Infrastruktur zumeist auch aufwendige Arbeiten im Bereich des Brandschutzes.

Und wenn wir umbauen müssen, dann geht das wegen des Lärms nur in den Schulferien.“ Vor konkreten Baumaßnahmen aber ging es darum, Überzeugungsarbeit zu leisten. „Wir wollten den Schulen von Anfang an vermitteln, dass wir letztlich alle das gleiche Ziel haben und dass das – aus gutem Grund – eben seine Zeit braucht.“ Also wurden Workshops abgehalten, Medienentwicklungsplanteams gebildet, die dementsprechenden Pläne entwickelt,
Pilotklassenräume eingerichtet, die Ergebnisse ausgewertet und reichlich diskutiert. Irgendwann war es so weit: Die Ausschreibung für 370 digitale Tafeln, 20 Beamer, 150 Dokumentenkameras, Tablets und Laptops für Schüler*innen und Lehrkräfte ging raus – 2,3 Millionen Euro, natürlich europaweit.

„Ich glaube nicht, dass der Digitalisierungsprozessan den Schulen jemalszu Ende geht.“

Claudia Roßmann
Leiterin „Digitalisierung von Schule und Unterricht“ am Landratsamt Ravensburg

Seit mehr als drei Jahren arbeiten alle beteiligten Seiten am Thema. Das Team begann Ende 2022, erste digitale Tafeln zu installieren – das Ganze zieht sich bis Herbst 2024. Jetzt muss es darum gehen, Lehrpläne und Unterrichtsmethoden auf eine neue Zeit umzustellen, Medien weiterzuentwickeln und sich um eine nachhaltige Beschaffung für die nächste Generation der IT-Infrastruktur zu kümmern. „Ich glaube nicht, dass der Digitalisierungsprozess an den Schulen jemals zu Ende geht“, sagt Roßmann. Aber sie und ihr Team sind vorbereitet.

 

Wie Digitalisierung die Welt verändert

Das ist gut, denn die Jugend erwartet das. Laut einer aktuellen Studie der Vodafone-Stiftung vom März 2023 besteht bei der jungen Generation zu 79 Prozent darin Einigkeit, dass es „äußerst“ oder „sehr wichtig“ sei, gut mit neuen Technologien und Medien umgehen zu können. Und mehr als 90 Prozent gaben an, dass sich Wirtschaft, Berufsleben, Gesellschaft und soziales Miteinander in den kommenden Jahren durch den Einsatz digitaler Technologien „stark“ oder „sehr stark“ verändern werden. Wie diese Veränderung heute schon aussieht, das weiß Alexander Blum.

Alexander Blum blickt gerade in einem Besprechungszimmer in Grünkraut-Gullen auf eine digitale Tafel, 85 Zoll in der Diagonalen und unterhält sich mit dem Personalleiter Sven Woideck. Selbiger sitzt im 600 Kilometer entfernten Willich, hier ist der Geschäftsbereich Prüftechnik von Blum-Novotest zu Hause. Thema des Gesprächs ist die Personalakquise. Genauer: das Voranschreiten der Digitalisierung im Bewerber*innen-Management. 

„Wer
Internationalisierung
will, muss digitalisieren.“

Alexander Blum
Geschäftsführer Blum-Novotest

Blum-Novotest wurde 1968 in Ravensburg als Zulieferer für die Werkzeugmaschinenindustrie gegründet. Seit 1987 geht es um die Werkzeugvermessung mittels Laserstrahl, Hightech im Grenzbereich. 2001 war das Unternehmen in fünf Ländern vertreten und hatte 90 Mitarbeiter*innen. Heute gibt es 18 Tochtergesellschaften, 650 Menschen arbeiten hier und generieren 84 Millionen Euro Umsatz. Alexander Blum ist seit 2001 Firmenchef und hat früh auf die Digitalisierung gesetzt: „Wir haben uns früh eine eigene Glasfaserleitung für den schnellen Internetzugang ins Industriegebiet legen lassen. 80.000 Euro hat der Spaß gekostet.“ Eine gute Investition, denn „in den vergangenen 20 Jahren haben wir uns zu einem global agierenden Mess- und Prüftechnikspezialisten entwickelt und sind heute ebenso Software- wie Hardwareunternehmen. Und wer Internationalisierung will, muss digitalisieren“.

Bei Blum-Novotest heißt das konkret, dass mit dem ERP, Enterprise-Resource-Planning-System, alle notwendigen Geschäftsprozesse gebündelt und gesteuert werden. Das gilt für eine Vielzahl von Geschäftsanwendungen und Betriebsdaten, die das Unternehmen in einer zentralen Datenbank verarbeitet, speichert und dann, immer auf dem aktuellen Stand, nutzt – vom Material über die Finanzen bis zum Personal. Die Daten sind im Haus zugänglich, im Homeoffice, überall auf der Welt, jederzeit. Mobiles Arbeiten vom Feinsten, die Work-Life-Balance lässt grüßen.

Alexander Blum ist seit 2001 Geschäftsführer bei Blum-Novotest und hat von Anfang an auf Digitalisierung gesetzt. Heute kann er sämtliche Kennzahlen seines Unternehmens auf dem Smartphone einsehen – oder mit seinem Personalchef Sven Woideck diskutieren.

Womit wir wieder beim Gespräch zwischen Firmenchef Blum und Personalleiter Woideck wären. Denn ein auf Expansion ausgelegtes Unternehmen braucht Mitarbeiter*innen und Nachwuchs. Den zu finden, ist heutzutage nicht leicht. Also bespielt das Team von Blum-Novotest alle Kanäle, off- und online: von Messen und LinkedIn bis Xing und selbst gemachten Tutorials auf dem hauseigenen YouTube-Kanal, von Videointerviews zu Jobbörsen, von Zeitungsanzeigen bis Instagram. „Das alles muss leben“, sagt Woideck und freut sich, wenn er schließlich eine Personalmappe für den Neuzugang anlegen kann. Eine digitale Personalmappe natürlich.

Die Neuzugänge bei Blum-Novotest arbeiten dann an hoch digitalisierten Arbeitsplätzen in einem Gebäude mit einem intelligenten Konzept und in Räumen, deren CO₂-Anteil digital überwacht wird. Sie genießen einen Automatisierungsgrad, der nicht nur Laien staunen lässt. Dazu gehört ein fahrerloses Transportsystem, das den kompletten Warenfluss mit Robotern steuert, die sich frei im Haus bewegen – bis künftig hin zur Wertstoffabfuhr und Trennung. Moderne Zeiten.

Bei Blum-Novotest soll bald der komplette Warenfluss per fahrerlosem Transportsystem mit Robotern gesteuert werden. Im Zuge der Automatisierung werden dann zwar einfache Arbeitsplätze weniger, aber die Zahl der höherwertigen steigt.

Komplexe Produktionsprozesse werden durchdacht

Mit der Digitalisierung als Teil einer kontinuierlichen Entwicklung beschäftigt sich Florian Bulander. Er ist Forschungsgruppenleiter im „Zentrum für Digitalisierung in Produktion und Produktentwicklung“ (ZDP) der DHBW Ravensburg. Im Friedrichshafener Fallenbrunnen erforscht er industrienah in der „Zukunftsfabrik Bodensee“ die Produktionsorganisation und Möglichkeiten zur effizienten Steuerung von Produktionskomplexität und der künstlichen Intelligenz, von Prozesstransparenz und Robotik. „Auch bei der Digitalisierung ist immer das unternehmerische Ziel, etwas zu produzieren und einen Output zu generieren. Es muss also Arbeit entstehen.“ Dabei ermögliche die Digitalisierung komplexe Produktionssysteme, die den Menschen überfordern würden. Diese Zusammenhänge zu verstehen, das will er seinen Studentinnen und Studenten beibringen. Gelebt wird diese Denke seit Anfang 2021 auf dem Campus in Fallenbrunnen, im „Haus der Innovationen“, dem RITZ. Das „Regionale Innovations- und Technologietransfer Zentrum“ soll eine Anlaufstelle für Innovation und Technologietransfer werden. Thematischer Schwerpunkt sind die Digitalisierungstechnologien. Es bietet Raum für ein kooperatives Miteinander und Start-ups, ist hochgradig vernetzt und digitalisiert. Das funktioniere, so Bulander, denn „junge Menschen wachsen ja heute mit Smartphones auf und kommen mit den modernen Zeiten viel besser klar als ältere Generationen, sind offener und digitalisieren sich letztendlich selbst. Mit 16 sind die alle heute digital fitter, als ich es damals war. Sie sind eben echte Digital Natives“.

„Auch bei der Digitalisierung ist immer das unternehmerische Ziel, etwas zu produzieren und einen Output zu generieren. Es muss also Arbeit entstehen.“

Florian Bulander
Forschungsgruppenleiter DHBW Ravensburg

Eine besondere Bedeutung kommt im Fallenbrunnen dem RITZ zu, dem Regionalen Innovations- und Technologietransfer Zentrum. Hier wird zusammen gearbeitet.

Florian Bulander leitet die Forschungsgruppe und sieht in der hiesigen Verbindung zwischen Labor und Hochschule viele Möglichkeiten.

Digitale Vernetzung für alle Bereiche der Mobilität

Ein Digital Native, also laut Duden ein Mensch, „der mit digitalen Technologien aufwächst und in ihrer Benutzung geübt ist“, ist Sabrina Aurenz. Sie hat bis Ende 2019 an der DHBW im Fallenbrunnen Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt Energie- und Umwelttechnik studiert und ist heute Business Architektin im Bereich der Mobilität bei der TWS. Ihr tägliches Thema ist, weg von der Produktseite der Mobilitätslösungen der TWS zu denken und hin zu den Nutzer*innen – eben der Bevölkerung des Schussentals. „Es geht darum, unsere Entwicklungen weiterzudenken und bedarfsgerechter anzubieten, wie z. B. hin zur Barrierefreiheit.“

Eine dieser Entwicklungen ist beispielsweise die App tws.mobil. Sabrina Aurenz sorgt dafür, dass die digitale Vernetzung immer tiefer reicht und alle Bereiche der Mobilität umfasst, öffentlich sowie dienstlich. Die Digitalisierung bei der TWS führt schließlich dazu, dass dank der Kombination der Informationen die Nutzung der Mobilitätsangebote über eine zentrale Plattform 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche gesteuert werden können – ohne lästige Formulare, Listen und Abstimmungsschwierigkeiten. Gleichzeitig kann die Nutzung der Mobilitätsangebote ausgewertet und für die Zukunft weiter optimiert werden.

 

„Wir diskutieren immer die Frage: Mit was kommen die Nutzer*innen klar?“

Sabrina Aurenz
Business Architektin Mobilität, TWS

Die Digitalisierung der Zukunft umfasst ebenso das große Thema Mobilität. Dabei geht es auch immer um die Möglichkeiten, die unterschiedliche Verkehrsmittel bieten: vom eCar bis zu MOBI.

„Stellen Sie sich vor, wir könnten zu den meisten geplanten individuellen Autofahrten eine umweltfreundliche Alternative über unsere App anbieten. Sei es mit dem eCarsharing, mit dem Bus, dem E-Bike oder dem MOBI. Das ist Teil der Zukunft, wie wir sie uns vorstellen.“

Bei der Digitalisierung geht es darum, eine ökologisch und sozial nachhaltige Strategie zu etablieren, welche den Einwohner*innen des Schussentals den größten Mehrwert bietet. Für die TWS bedeutet dies, die ökonomischen Vorgaben des Unternehmens mit den ökologischen Zielen in Einklang zu bringen.

Making of #meinschussental „Digitalisierung von Alltag, Beruf und Schule“ © Don Ailinger

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