Im Kampf gegen die Klimaerwärmung

Das Moor: natürlicher Klimaschutz

vom 12. Jul 2022
Autor: Stefan Blank
Fotos: Don Ailinger
Das Pfrunger-Burgweiler Ried im in der Morgendämmerung
© Don Ailinger
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Der Morgen ist die beste Zeit für einen Besuch. In der Dämmerung haftet den Geräuschen eine erstaunliche Zartheit an, und ein erdiger, feuchter und trotzdem irgendwie frisch gewaschener Hauch liegt in der Luft. Hier kann man tief ein- und gelassen wieder ausatmen.
Hier, im Pfrunger-Burgweiler Ried, breitet sich das erste Licht des Tages über der Moorlandschaft aus, als würde etwas Heiliges geschehen. Dunst hängt über dem flachen Tiefenbach und den verträumten, verkrüppelten Birken nebenan. Die Scottish Highlands stehen dampfend auf den Weiden, und die ersten Rufe der Reiherenten und Schwäne vom Fünfeckweiher scheinen mühelos über die gut 2.600 Hektar des Rieds zu tragen. Das Pfrunger-Burgweiler Ried ist das zweitgrößte zusammenhängende Moorgebiet in Süddeutschland, ein Juwel mit immenser ökologischer Bedeutung für Oberschwaben, das Land und die ganze Welt. Höchste Zeit für eine Moorwanderung mit einer kundigen Führerin.

Es macht gar nichts, wenn es zufällig regnet. Denn man sieht und spürt förmlich, wie der Regen die Moorlandschaft verändert, die Grün- und Brauntöne sättigt und das Heidegras sprießen lässt. Auch den Scottish Highlands macht das gar nichts aus. Sie stehen gutmütig auf ihrer Weide – der „Stabilisierungszone“ – und harren gelassen der Dinge. Nur wenn Markus Bauknecht auf seinem grünen, fast schon historischen Deutz-Traktor vorbeituckert, dann folgen ihm ihre Blicke. Essenszeit?
Markus Bauknecht und seine Scottish Highlands sind ein fester Bestandteil des Pfrunger-Burgweiler Rieds. © Don Ailinger
ULZHAUSEN

Eine Wanderung durch das Pfrunger-Burgweiler Ried könnte im Weiler Ulzhausen beginnen. Mit ein bisschen Glück ist Landwirt Bauknecht gerade im Gespräch mit Sabine Behr. Die Diplom-Agraringenieurin arbeitet seit vielen Jahren für die „Stiftung Naturschutz Pfrunger-Burgweiler Ried“ und denkt gerade darüber nach, versuchsweise zwei Wasserbüffel als Pensionstiere ins Ried zu holen. „Dann können wir uns vielleicht die maschinelle Pflege der Gewässer einsparen.“ Ideen gibt es genug. „Das muss so sein, denn wir leisten hier im Rahmen unseres Pflegeauftrags sehr wichtige Arbeit für die Allgemeinheit.“ Auf den Weiden von fünf Landwirten rund ums Ried stehen fünf Rinderrassen: Heckrinder, Scottish Highlands, Galloways, Belted Galloways mit ihrer hellen Bauchbinde und Pinzgauer.

Wenn es um die Befindlichkeiten der verschiedenen Rinderrassen geht, dann kennt sich Sabine Behr hervorragend aus. Da kann der Reporter nur staunen. © Don Ailinger
„Pinzgauer haben ein kurzes Fell und lieben die Sonne“, weiß Behr, „die Scottish Highlands sind wegen ihrer dicken Fellschicht widerstandsfähiger. Ihnen macht auch der Regen nichts aus.“ Bauer Bauknecht betreut zwei Herden und 70 Tiere. Und was machen die Rinder überhaupt hier? „Sie sind das ganze Jahr draußen, halten den Grünlandgürtel um das Ried – also die sogenannte Stabilisierungszone – frei und offen, fressen aber nicht alles ab. Das ist reine Landschaftspflege und gut für die Tierwelt. In ihrem Kot siedeln sich Insekten an, die wiederum als Futter für Fledermäuse, Vögel und andere Insektenfresser dienen. Davon profitiert auch die Pflanzenwelt.“ Das Fleisch seiner Rinder gilt als Delikatesse, nicht nur in einigen Gasthäusern. Um die Tiere keinerlei Stress auszusetzen, werden die Rinder im Koral per Kopfschuss mit Schalldämpfer aus der Gruppe heraus abgeschossen. Diese Methode gilt hinsichtlich des Tierwohls als die humanste Möglichkeit der Schlachtung.

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    WANDERPARKPLATZ BEI ULZHAUSEN

    Ohne Stress kann man das Pfrunger-Burgweiler Ried auf rund 40 Kilometern Wanderweg erkunden. Es gibt Themenführungen von „Faszination Fledermäuse“ über „Frühblüher im Ried“ bis zu „Ohne Moos nix los“. Eine, die sich hier trefflich auskennt, ist die Moorführerin Marianne Tichy. Sie ist 76 Jahre jung, führt seit 2014 durch das Ried und ist mit dem Ried aufgewachsen. Als geborene Wetzel entstammt sie als zweites von zehn Kindern einer alteingesessenen Wilhelmsdorfer Bauernfamilie und ist voller Geschichten. „Als Kind hat’s mir im Ried überhaupt nicht gefallen. Immer nach der Schule mussten wir raus und arbeiten, Torf stechen oder Kartoffeln lesen. Da habe ich mir geschworen, nie einen Bauern zu heiraten. Heute aber gefällt’s mir im Ried gut“, und einen Bauern hat sie in der Tat nicht geheiratet.

    „Mit Torf habe ich noch das Kochen gelernt“, sagt die gelernte Hauswirtschaftslehrerin im verdienten Ruhestand und kann sich gut an die entbehrungsreiche Zeit erinnern, in der Torf das Heizmaterial war. „Wir haben im April Torf gestochen, mein Vater allein hat am Tag 10.000 Stücke gemacht.“ Die Arbeit aber hat ihr nicht gefallen. „Da gab es vor allem im Sommer, wenn wir Torf umdrehen oder neu stapeln mussten, Unmassen von Schnaken und Bremsen. Schnaken eher bei trübem Wetter. Bremsen, wenn es heiß war.“

    Moorführerin Marianne Tichy fesselt mit vielen Geschichten aus dem Ried – sie hat ihre Kindheit hier verbracht. © Don Ailinger
    Hier und heute, am Wanderparkplatz bei Ulzhausen, gibt es keine Schnaken und keine Bremsen – aber reichlich Informationen. Zehn Kilometer lang ist das Pfrunger-Burgweiler Ried, drei Kilometer breit und gut 2.600 Hektar groß. Damit ist es das zweitgrößte Moorgebiet Süddeutschlands, hinter dem Federsee, aber vor dem Wurzacher Ried. Entstanden ist es vor mehr als 20.000 Jahren als Rest eines nacheiszeitlichen Gletschersees. Dieser verfüllte sich nach und nach mit Sedimenten und mineralischen Einlagerungen und verlandete teilweise, Niedermoore und Hochmoore entstanden. Das Wort „Moor“ steht für eine durch Feuchteüberschuss geprägte Landschaft. Hier lagern sich unter Sauerstoffabschluss Torfschichten ab, die aus abgestorbenen Pflanzenresten bestehen. Diese Gebiete sind durch Tiefgründigkeit und Nässe gekennzeichnet und eignen sich nicht für eine dauerhafte menschliche Besiedlung, heißt es.

    Für die Besiedlung nicht, aber vielleicht für die landwirtschaftliche Nutzung. Und so wurde seit dem 19. Jahrhundert abgetorft, entwässert und umgewandelt. Immer intensiver genutzte Kulturlandschaften waren das Ziel – auch rund um Wilhelmsdorf und damit im Pfrunger-Burgweiler Ried. Gräben wurden gezogen in Richtung des Flüsschens Ostrach, über die das Wasser abfloss, Ackerflächen wurden gewonnen. Torf wurde gestochen, für den privaten Gebrauch und ab 1850 dann industriell durch die Firma Bosch aus der Schweiz. Erst 1918 fand der großflächige Torfstich ein Ende. In den 1930er-Jahren kaufte der damalige Bund für Heimatschutz in Württemberg und Hohenzollern eine Fläche von 50 Hektar Seen und verlandeter Torfstiche aus den Hinterlassenschaften der Firma Bosch. Bis in die 1990er-Jahre erwarb der Schwäbische Heimatbund noch weitere 130 Hektar. 2002 schließlich wurde das Pfrunger-Burgweiler Ried vom Bund als „sehr bedeutsam“ bewertet und bis 2015 als eines von zwei Naturschutz-Großprojekten in Baden-Württemberg mit Fördergeldern unterstützt. Es durfte wieder heilen und wachsen. Das tat und tut der Umwelt gut. Und überhaupt nicht nebenbei ist der Schutz von Mooren ungemein bedeutend im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Denn wird ein Moorgebiet trockengelegt, dann entsteht durch Zersetzung des Torfkörpers durch Mikroorganismen unter Sauerstoffzufuhr CO2. Und das will heutzutage wirklich niemand haben.

    TIEFENBACH

    Entlang des Tiefenbachs geht es Richtung Ried. „Der Biber kennt den Bach“, sagt Tichy und gerade flitzt sein Rücken durchs Wasser. Der Biber kennt auch den Langen Graben, den Erlenbach, den Birkenbach, den Hornbach, den Riedhofgraben – und alle fließen zur Ostrach hin. Oder vielmehr flossen. Früher gab es hier gut 300 Kilometer Entwässerungsstrukturen, von Menschenhand geschaffen oder als ehemaliger Bach durch Muskelkraft begradigt, um das Moor zu entwässern. Heute steht hier das Wasser. „Mein Vater hat als Lohnarbeiter im Winter Gräben gezogen und aus dem Tiefenbach Weißfische heimgebracht. Diese gab’s dann zum Essen.“ Tichy erzählt aus der Geschichte Wilhelmsdorfs und aus ihrem eigenen Leben.

    Von den 18 verschiedenen Torfmoosarten im Ried, von Sumpfschrecken und Laubfröschen, von Spechten und Schwänen, von Ameisen und Blesshühnern, von Kiebitzen und Blaukehlchen, von Rauschbeeren und Hochmoorgelblingen, von Moorkiefern und Sonnentau, von Heidelbeeren und Bärlapp. Eben all dem, was sich in der verwunschenen Welt des Bannwaldes im Pfrunger-Burgweiler Ried tummelt, wächst und gedeiht. Oft nicht zu sehen, immer zu spüren und mystisch. Denn, so Tichy: „Der Bannwald ist der Urwald von morgen.“

    Der Fünfeckweiher heute, Torfabbau und Wurzeln aus dem Boden reißen früher – meist war die ganze Familie beteiligt. © Don Ailinger
    FÜNFECKWEIHER

    Der Fünfeckweiher, der Name ist Programm, sei der erste Baggersee der vor dem 1. Weltkrieg mit von Elektromotoren angetriebenen Eimerkettenbaggern ausgehoben wurde, erzählt Tichy. Und dann kam der Besitzer, ein Herr Halder, auf den Gedanken, Graskarpfen reinzusetzen. Die gehören nicht hierher. „Aber Schwäne und Gänse eigentlich auch nicht.“ Und trotzdem sind sie alle da. Man kann sie beobachten, ihnen zuhören und sich so seine Gedanken machen über das Werden und Vergehen eines Moores.

    BANNWALDTURM

    Der viergeschossige Bannwaldturm ist mit seinen 38,5 Metern Höhe als Aussichtsturm ein beeindruckendes Bauwerk. Das interessiert Pia Wilhelm momentan aber gar nicht. Sie steht zu seinen Füßen und beobachtet durch ihr Fernglas die über ihr kreisende Vogelwelt. „Da fliegt ein interessanter Vogel. Ist das ein Schwarzkehlchen?“ Toll fände sie es, einen Schwarzstorch vor die Optik zu bekommen. Denn der fühlt sich im Ried auch wohl, das weiß sie sicher. Wilhelm ist Diplom-Biologin und seit 1994 im Naturschutzzentrum Wilhelmsdorf beschäftigt. Ihre großen Themen sind CO2 und Klimawandel.

    Pia Wilhelm ist meist mit dem Fernglas unterwegs, denn auch in den Lüften über dem Pfrunger-Burgweiler Ried gibt es immer etwas zu entdecken. © Don Ailinger
    Sie hat nachgerechnet: Allein die Wiedervernässung des Pfrunger-Burgweiler Rieds und die Verringerung von landwirtschaftlicher Tätigkeit sorgen dafür, dass gut 8.300 Tonnen CO2 im Boden bleiben und somit nicht in die geschädigte Atmosphäre ausgestoßen werden. 8.300 Tonnen im Jahr wohlgemerkt. Das ist so viel, wie 3.700 durchschnittliche Fahrzeuge bei durchschnittlicher Kilometerleistung pro Jahr erzeugen. „Das zeigt, dass das, was wir hier tun, regionale, nationale und weltweite Bedeutung hat. Das Land Baden-Württemberg allein verfügt über 45.000 Hektar Moorfläche. Wenn wir die alle renaturieren, das wäre doch etwas – natürlicher Umweltschutz. Und unser Ried spielt da als Vorreiter eine ganz besondere Rolle als Juwel mit immenser ökologischer Bedeutung für Oberschwaben, das Land und die ganze Welt.“
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