Eine Wanderung durch das Pfrunger-Burgweiler Ried könnte im Weiler Ulzhausen beginnen. Mit ein bisschen Glück ist Landwirt Bauknecht gerade im Gespräch mit Sabine Behr. Die Diplom-Agraringenieurin arbeitet seit vielen Jahren für die „Stiftung Naturschutz Pfrunger-Burgweiler Ried“ und denkt gerade darüber nach, versuchsweise zwei Wasserbüffel als Pensionstiere ins Ried zu holen. „Dann können wir uns vielleicht die maschinelle Pflege der Gewässer einsparen.“ Ideen gibt es genug. „Das muss so sein, denn wir leisten hier im Rahmen unseres Pflegeauftrags sehr wichtige Arbeit für die Allgemeinheit.“ Auf den Weiden von fünf Landwirten rund ums Ried stehen fünf Rinderrassen: Heckrinder, Scottish Highlands, Galloways, Belted Galloways mit ihrer hellen Bauchbinde und Pinzgauer.
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Ohne Stress kann man das Pfrunger-Burgweiler Ried auf rund 40 Kilometern Wanderweg erkunden. Es gibt Themenführungen von „Faszination Fledermäuse“ über „Frühblüher im Ried“ bis zu „Ohne Moos nix los“. Eine, die sich hier trefflich auskennt, ist die Moorführerin Marianne Tichy. Sie ist 76 Jahre jung, führt seit 2014 durch das Ried und ist mit dem Ried aufgewachsen. Als geborene Wetzel entstammt sie als zweites von zehn Kindern einer alteingesessenen Wilhelmsdorfer Bauernfamilie und ist voller Geschichten. „Als Kind hat’s mir im Ried überhaupt nicht gefallen. Immer nach der Schule mussten wir raus und arbeiten, Torf stechen oder Kartoffeln lesen. Da habe ich mir geschworen, nie einen Bauern zu heiraten. Heute aber gefällt’s mir im Ried gut“, und einen Bauern hat sie in der Tat nicht geheiratet.
„Mit Torf habe ich noch das Kochen gelernt“, sagt die gelernte Hauswirtschaftslehrerin im verdienten Ruhestand und kann sich gut an die entbehrungsreiche Zeit erinnern, in der Torf das Heizmaterial war. „Wir haben im April Torf gestochen, mein Vater allein hat am Tag 10.000 Stücke gemacht.“ Die Arbeit aber hat ihr nicht gefallen. „Da gab es vor allem im Sommer, wenn wir Torf umdrehen oder neu stapeln mussten, Unmassen von Schnaken und Bremsen. Schnaken eher bei trübem Wetter. Bremsen, wenn es heiß war.“
Für die Besiedlung nicht, aber vielleicht für die landwirtschaftliche Nutzung. Und so wurde seit dem 19. Jahrhundert abgetorft, entwässert und umgewandelt. Immer intensiver genutzte Kulturlandschaften waren das Ziel – auch rund um Wilhelmsdorf und damit im Pfrunger-Burgweiler Ried. Gräben wurden gezogen in Richtung des Flüsschens Ostrach, über die das Wasser abfloss, Ackerflächen wurden gewonnen. Torf wurde gestochen, für den privaten Gebrauch und ab 1850 dann industriell durch die Firma Bosch aus der Schweiz. Erst 1918 fand der großflächige Torfstich ein Ende. In den 1930er-Jahren kaufte der damalige Bund für Heimatschutz in Württemberg und Hohenzollern eine Fläche von 50 Hektar Seen und verlandeter Torfstiche aus den Hinterlassenschaften der Firma Bosch. Bis in die 1990er-Jahre erwarb der Schwäbische Heimatbund noch weitere 130 Hektar. 2002 schließlich wurde das Pfrunger-Burgweiler Ried vom Bund als „sehr bedeutsam“ bewertet und bis 2015 als eines von zwei Naturschutz-Großprojekten in Baden-Württemberg mit Fördergeldern unterstützt. Es durfte wieder heilen und wachsen. Das tat und tut der Umwelt gut. Und überhaupt nicht nebenbei ist der Schutz von Mooren ungemein bedeutend im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Denn wird ein Moorgebiet trockengelegt, dann entsteht durch Zersetzung des Torfkörpers durch Mikroorganismen unter Sauerstoffzufuhr CO2. Und das will heutzutage wirklich niemand haben.
TIEFENBACH
Entlang des Tiefenbachs geht es Richtung Ried. „Der Biber kennt den Bach“, sagt Tichy und gerade flitzt sein Rücken durchs Wasser. Der Biber kennt auch den Langen Graben, den Erlenbach, den Birkenbach, den Hornbach, den Riedhofgraben – und alle fließen zur Ostrach hin. Oder vielmehr flossen. Früher gab es hier gut 300 Kilometer Entwässerungsstrukturen, von Menschenhand geschaffen oder als ehemaliger Bach durch Muskelkraft begradigt, um das Moor zu entwässern. Heute steht hier das Wasser. „Mein Vater hat als Lohnarbeiter im Winter Gräben gezogen und aus dem Tiefenbach Weißfische heimgebracht. Diese gab’s dann zum Essen.“ Tichy erzählt aus der Geschichte Wilhelmsdorfs und aus ihrem eigenen Leben.
Von den 18 verschiedenen Torfmoosarten im Ried, von Sumpfschrecken und Laubfröschen, von Spechten und Schwänen, von Ameisen und Blesshühnern, von Kiebitzen und Blaukehlchen, von Rauschbeeren und Hochmoorgelblingen, von Moorkiefern und Sonnentau, von Heidelbeeren und Bärlapp. Eben all dem, was sich in der verwunschenen Welt des Bannwaldes im Pfrunger-Burgweiler Ried tummelt, wächst und gedeiht. Oft nicht zu sehen, immer zu spüren und mystisch. Denn, so Tichy: „Der Bannwald ist der Urwald von morgen.“
Der Fünfeckweiher, der Name ist Programm, sei der erste Baggersee der vor dem 1. Weltkrieg mit von Elektromotoren angetriebenen Eimerkettenbaggern ausgehoben wurde, erzählt Tichy. Und dann kam der Besitzer, ein Herr Halder, auf den Gedanken, Graskarpfen reinzusetzen. Die gehören nicht hierher. „Aber Schwäne und Gänse eigentlich auch nicht.“ Und trotzdem sind sie alle da. Man kann sie beobachten, ihnen zuhören und sich so seine Gedanken machen über das Werden und Vergehen eines Moores.
Der viergeschossige Bannwaldturm ist mit seinen 38,5 Metern Höhe als Aussichtsturm ein beeindruckendes Bauwerk. Das interessiert Pia Wilhelm momentan aber gar nicht. Sie steht zu seinen Füßen und beobachtet durch ihr Fernglas die über ihr kreisende Vogelwelt. „Da fliegt ein interessanter Vogel. Ist das ein Schwarzkehlchen?“ Toll fände sie es, einen Schwarzstorch vor die Optik zu bekommen. Denn der fühlt sich im Ried auch wohl, das weiß sie sicher. Wilhelm ist Diplom-Biologin und seit 1994 im Naturschutzzentrum Wilhelmsdorf beschäftigt. Ihre großen Themen sind CO2 und Klimawandel.
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