Der Regionalplan ordnet den Raum und sorgt für die Zukunft vor

Es geht um das große Ganze

vom 31. Okt. 2022
Autor: Stefan Blank
Fotos: Kilian Bendel, Don Ailinger
Drohnenaufnahme Schussental
© Kilian Bendel
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„Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen!“, sagte im 17. Jahrhundert der französische Mathematiker, Physiker, Erfinder, Schriftsteller und katholische Theologe Blaise Pascal (1623–1662). Was hätten Gott und Theologe wohl über den Regionalplan für Bodensee und Oberschwaben gedacht und gesagt?
Denn hier hat nicht nur einer geplant, sondern gleich 56 Vertreter*innen aus den drei Landkreisen Ravensburg, Sigmaringen und dem Bodenseekreis. Zu diesen gehören nicht weniger als 87 Städte und Gemeinden, vertreten von 56 Mitgliedern in der Verbandsversammlung. Diese wiederum wurden durch die jeweiligen Kreistage gewählt. Mehr als zehn Jahre hat die Fortschreibung des Regionalplans von 1996 gedauert, und heute kann kein Beteiligter mehr sagen, dass er keinen Plan hätte. Wir haben uns aufgemacht, den Regionalplan zu verstehen und davon zu erzählen. Dabei halfen uns zwei Expert*innen, ein Bürgermeister und ein Landwirt.

Wolfgang Heine vor der Raumnutzungskarte, die die Region Bodensee-Oberschwaben der Zukunft abbildet. © Don Ailinger

Das Ergebnis aus den zehn heiß diskutierten Jahren liegt längst vor. Noch wartet der Regionalplan Bodensee-Oberschwaben auf das „Go“ der Landesregierung in Stuttgart, das für das erste Quartal 2023 angekündigt ist. Diskutiert aber wird er schon seit einiger Zeit. Wer sich dem Regionalplan annähern will, sollte im Büro des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben in Ravensburg vorbeischauen. Hier liegt er. Oder besser: Er hängt an der Wand. Die sogenannte Raumnutzungskarte ist 1,85 Meter breit, 0,85 Meter hoch und wird begleitet von einem mehr als 1.000 Seiten starken Textteil.

Und das ist gut so. Denn es muss ihn geben, den Regionalplan. So steht’s im Raumordnungsgesetz von Baden-Württemberg. Und nach Paragraph 11 des Landesplanungsgesetzes ist er ein „Instrument der überörtlichen Raumordnung“. Überörtlich heißt schlicht, dass die Raumordnung nicht bei den Orten oder den Menschen dort stattfindet, sondern oberhalb der kommunalen Ebene. Bei uns geschieht das in der Verbandsversammlung mit ihren 56 gewählten Mitgliedern, die die Interessen der Region vertreten sollen. Der Regionalplan ordnet also den Raum, der uns umgibt, und bildet damit das Bindeglied zwischen staatlicher Landesplanung und den Kommunen. Diese setzen dann den Prozess fort mit ihrer individuellen Bauleitplanung.

Etliche Meter Handbücherei im Büro des Regionalverbands zeigen, dass ganz Deutschland überplant ist – die Schweiz übrigens auch. © Don Ailinger
Das Büro des Regionalverbands im Hirschgraben in Ravensburg ist eine gute Adresse für Fragen und Antworten rund ums Thema „Pläne machen“. Hier sitzen zehn Expert*innen, die unter der Leitung von Dr. Wolfgang Heine in die Zukunft schauen. Heine leitet das Team seit Juli 2021 und war vorher Bereichsleiter Standortpolitik und Unternehmensförderung sowie Mitglied der Geschäftsleitung bei der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben. Er ist in der Region bestens vernetzt. Das hilft, wenn es nötig ist, unterschiedliche Interessen aus den Bereichen Naturschutz, Wirtschaft und Lokalpolitik zusammenzubringen, abzuwägen und weit in die Zukunft zu planen. Denn darum gehe es im Regionalplan. „Bauen, Wohnen, Arbeiten, Freiraumschutz, das sind unsere großen Themen wie beispielsweise eine angemessene Siedlungsstruktur.“ Themen sind zum Beispiel Gebiete für die Windenergienutzung, interkommunale Gewerbegebiete und eigentlich das große Ganze in Oberschwaben.

„Bauen, Wohnen, Arbeiten, Freiraumschutz, das sind unsere großen Themen.“ 

Dr. Wolfgang Heine
Regionalverbandsdirektor
Oder vielmehr um das große Ganze in Deutschland. Denn „ganz Deutschland ist regional überplant“. Baden-Württemberg überplanen gleich zwölf Regionalverbände mit jeweils zwei bis drei Landkreisen. Überall verfügt die Raumnutzungskarte über einen Maßstab von 1 zu 50.000. Nur so ist sie rechtsverbindlich. „Bei einer Flughöhe von 1 zu 50.000 kann nicht jede Streuobstwiese im Plan abgebildet sein. Was gerne mal von den Betroffenen problematisiert wird. Aber wir versuchen, grüne Erholungsräume für die Menschen in der Natur zu sichern und im Idealfall zu verbinden“, so Kießling. Und so wird die Streuobstwiese Teil eines Erholungsraums. Dabei schlägt der Regionalplan „nur vor und bietet Optionen für die Kommunen“.

Wenn es um die Natur geht, ist Nadine Kießling die richtige Ansprechpartnerin. Sie ist Stellvertreterin des Verbandsdirektors. Im Gespräch mit beiden wird ein bisschen spürbarer, warum der Regionalplan von allen möglichen und unmöglichen Seiten diskutiert, kommentiert und kritisiert wird und wo die Schwierigkeiten bei der Vermittlung der großen Ideen für die Zukunft liegen. Es fallen Schlagworte wie Freiraumstruktur, Vorranggebiet, Grünzüge und Grünzäsuren, Kernräume und Verbundachsen, Flächenverbrauch und Mindest-Brutto-Wohndichte – ganz zu schweigen vom Zielabweichungsverfahren. Das klingt reichlich bürokratisch, aber es braucht einheitliche Standards und Begrifflichkeiten in einem Prozess, der sich locker über zehn Jahre hinzieht und in dessen Verlauf viele Instanzen am Plan zerren. „Klimaschutz kann mit einem Wunsch-Entwicklungskonzept einer Gemeinde kollidieren, die ersehnte Siedlungsentwicklung kann nicht bis in die hinterletzten Ecken der Region vordringen und wir müssen natürlich Gesetze beachten“, erläutert Kießling.

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„Es ist gut, dass am Verfahren so viele Menschen beteiligt sind.“ 

Nadine Kießling
Stellvertretende Verbandsdirektorin
Überhaupt gibt es immer ein übergeordnetes Gesetz, das befolgt werden muss. „So steht eben im § 22 des Landesnaturschutzgesetzes, dass ein Ziel ist, den Biotopverbund in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2030 auf mindestens 15 Prozent Offenland der Landesfläche auszubauen. Wir haben im Regionalplan bereits 15,9 Prozent gesichert, ganz nach Plan.“

Eine Zusammenfassung der Arbeit des Regionalverbands könnte so aussehen: Das Team des Regionalverbands sichert in Form des Regionalplans für die Zukunft Erholungsräume für Menschen, Tiere und die Natur „in einer Region, in der alles wächst, nur die Fläche nicht“, so Heine. „Wir schaffen, soweit möglich, umweltschonend planerische Voraussetzungen für Wohnbau- und Gewerbeflächen in einer Region mit verschiedenen Anforderungen.“ „Dabei bringen wir die Ansprüche des Freiraums, der Erholung, des Hochwasserschutzes und vieles mehr zusammen“, sagt Nadine Kießling. „Aber auch wir sehen und wissen nicht alles und daher ist es gut, dass am Verfahren so viele Menschen beteiligt sind.“

Blitzenreute ist Teil des Regionalplans und findet sich auf der Raumnutzungskarte wieder. Nadine Kießling kümmert sich darum, dass auch hier Klimaschutz und Klimaanpassung nicht zu kurz kommen. © Don Ailinger

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    Einer der 56 offiziell Beteiligten war und ist Oliver Spieß. Er ist seit 20 Jahren Bürgermeister von Fronreute und sitzt – vom Kreistag gewählt – seit 13 Jahren in der Verbandsversammlung. Er hat sich damals ins Thema Regionalplan reingefuchst, gestärkt durch „Die Grenzen des Wachstums“, dem Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit aus dem Jahre 1972. „Eine tolle Erfahrung war das. Der Regionalplan hätte vor 15 bis 20 Jahren sicher ganz anders ausgesehen, aber seitdem hat sich die Welt verändert. Und das spiegelt er hervorragend wider.“ In seiner Gemeinde ist laut Regionalplan Wachstum möglich, es gibt sogenannte weiße Flächen. Das bedeutet, dass für sie noch keine abschließenden raumordnerischen Entscheidungen getroffen wurden. „Diese könnten wir als Gemeinde der Bebauung zuführen. Aber das wird dann erst endgültig im Verfahren des Bebauungsplanes und des vorgeschalteten Flächennutzungsplanes geklärt, die auf dem Regionalplan aufsetzen. Dieser gibt uns also die Möglichkeit, uns als Gemeinde zu entwickeln. Das freut mich auch persönlich.“ 

    „Der Regionalplan gibt uns die Möglichkeit, uns als Gemeinde zu entwickeln.“ 

    Oliver Spieß
    Bürgermeister von Fronreute
    Spieß also kann für seine Gemeinde planen – sobald der Regionalplan Bodensee-Oberschwaben genehmigt ist. Und das ist gut für Fronreute. Es geht um die Umgehungsstraße B32 und um ein etwa 15 Hektar umfassendes interkommunales Gewerbegebiet an dieser geplanten Straße, das im Planungsverband mit Wolpertswende entstehen soll. „Wir denken an moderates Wachstum und verdichtetes Bauen unter Beachtung von Natur- und Artenschutz und des regionalen Grünzuges des Regionalplanes. Wir machen die nächsten 20 Jahre auf Basis des Regionalplans unsere Hausaufgaben, berücksichtigen Streuobstwiesen, regionale Grünzüge und auch die Interessen der Landwirtschaft kommen nicht zu kurz.“ Spieß ist zufrieden. Er kann aber auch bezeugen, dass der Planungsprozess kein Wünsch-dir-was-Konzert war. Denn Bürgermeister*innen wollten mehr Freiheiten, Betroffene ihre Interessen sichern, Ehrenamtliche mehr Naturschutz. Es war die Abwägung zwischen Gewerbe- und Wohnraumentwicklung und dem Schutz der Natur und Landschaft. „Aber wir hatten eine echte Diskussionskultur und haben gemeinsam einen Grundstein gelegt für eine ganze Generation. Das ist doch etwas – es geht schließlich um die Zukunft.“

    Oft ist es gut, sich aus der Luft einen Überblick zu verschaffen.Blitzenreute von oben, auf der freien Fläche
    soll ein interkommunales Gewerbegebiet entstehen. © Kilian Bendel

    Um die Zukunft geht’s auch auf dem Buchseehof, den Günter Schwegler gemeinsam mit seiner Frau Rosi betreibt. Er liegt inmitten der Blitzenreuter Seenplatte mit Häcklerweiher, Schreckensee, Vorsee und Bibersee, umgeben von saftigen Wiesen, fruchtbaren Ackerflächen und grünen Wäldern. Auch auf der Raumnutzungskarte des Regionalplans ist es hier schön grün und das wird es bleiben. Schwegler ist ein politisches Urgestein mit einer langen Karriere in Ortschaftsrat, Kreistag und Verbandsversammlung. Er hat schon früh für sich entdeckt, dass „wir überregional und langfristig denken müssen“. Sein Leben als Politiker geht Hand in Hand mit seinem Dasein als Privatmensch und als Landwirt mit 60 Hektar Grund und Boden. Schwegler ist heute unterwegs im Rahmen der sogenannten Ökokonto-Verordnung (ÖKVO). Sie trifft, in sperrigem Bürokratendeutsch, „landeseinheitliche Regelungen für die Anerkennung und Bewertung von zeitlich vorgezogenen Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege (Ökokonto-Maßnahmen), die zu einem späteren Zeitpunkt einem Eingriffsvorhaben als Kompensationsmaßnahmen zugeordnet werden sollen“.

    Der Buchseehof liegt direkt am Buchsee und ist umgeben von saftigen Wiesen. © Kilian Bendel

    Was nichts anderes heißt als: Jede Baumaßnahme braucht einen Ausgleich. Konkret: Wird nach Bebauungsplan in Boms ein zwei Hektar großes Gewerbegebiet gebaut, dann muss die Maßnahme in möglichst naher Umgebung mit einer gleich großen Fläche Naturraum ausgeglichen werden. Je wertiger der Naturraum ist, desto mehr Ökopunkte erhält er und kann dann als Ausgleich für die verbaute Fläche eingelöst werden. Dieser Prozess wird durch eine eigenständige Gesellschaft namens ReKo mit Unterstützung des Regionalverbands gesteuert. „Wir haben auf unserem Land bereits ein Fauna-Flora-Habitat- und ein Vogelschutzgebiet, aber wollen in diesem Zusammenhang noch mehr für die Natur und damit die Zukunft tun und gleichzeitig unsere Existenz sichern. Es kann also eine dreifache Win-win-Situation entstehen – wenn wir auch Tourist*innen informieren und mit einbeziehen.“

    Wir müssen überregional und langfristig denken.“ 

    Günter Schwegler
    Landwirt und Betreiber des Buchseehofs
    Also ist Schwegler in Vorleistung gegangen, hat sich ein Konzept erstellen lassen und zog ein eigenes Wiedervernässungskonzept auf. „Denn intakte, wassergesättigte Moore sind bedeutsame CO2-Speicher und dienen damit der biologischen Vielfalt und dem Klimaschutz gleichermaßen.“ Das klingt wie ein Plan, der den Schutz der Natur und die Entwicklung Oberschwabens mit einbezieht und im Sinne von Wolfgang Heine und Nadine Kießling weit in die Zukunft reicht – für mindestens eine ganze Generation und das große Ganze.
    Making of #meinschussental Günter Schwegler – Landwirt und Betreiber des Buchseehofs © Don Ailinger

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