In Baden-Württemberg gibt es zahlreiche Unternehmen, die in ihrer Branche Weltmarktführer sind. „The Länd“ gilt daher als Wirtschaftsmotor Deutschlands. Die Schwaben wiederum sind stolz darauf, Heimat von Tüftler*innen und Erfinder*innen zu sein. Im benachbarten Allgäu sind es seit Jahrzehnten die „Mächeler“, die bastelnden Macher, die die Region voranbringen. Allen gemeinsam ist, dass sie eine Idee, eine Vision antreibt.
Wir haben uns in der Szene umgeschaut. Denn heute spielen bei den Unternehmen, die die Region bewegen und in die Zukunft führen, Start-ups und Gründer*innen eine wichtige Rolle. Wir haben mit Networker*innen, Berater*innen und Institutionen gesprochen und festgestellt, dass es in und rund ums Schussental bei Gründer*innen viel Kompetenz, Mut, Kraft und Spaß an der Sache gibt.
Grundsätzlich gilt: Nicht jedes neu gegründete Unternehmen wird als Start-up bezeichnet. Start-ups – der Begriff kommt aus dem Englischen „to start up“ und steht für „gründen“ oder „in Gang setzen“ – sind Unternehmensgründungen mit einer neuen Geschäftsidee und hohem Wachstumspotenzial. Sie möchten im wahrsten Sinne des Wortes als Pioniere etwas in Gang setzen. Handwerksbetriebe, Freiberufler*innen oder Soloselbstständige dagegen gründen eher ein Unternehmen in einem ihnen bekannten Bereich und legen dann los. Dabei haben sie nicht das vorrangige Ziel, schnell zu wachsen. Sie bedienen normalerweise einen existierenden und bewährten Markt und werden als Existenzgründer*innen bezeichnet.
Start-up: (k)ein Sprung ins kalte Wasser
„Drop in 2 start up“, mit diesem Motto ging das „LAB4DTE“ an der Hochschule Ravensburg-Weingarten im Oktober 2021 an den Start. LAB4DTE steht für „Labor für digitale Transformation & Entrepreneurship“ und dahinter verbirgt sich die Idee, studentische Innovationsprojekte zu fördern. „Wir unterstützen junge Leute im Studium, indem wir Software, Hardware und Know-how bereitstellen“, erklärt Birgit Demuth. Sie ist Start-Up-Coach im Gründungszentrum LAB4DTE und weiß, dass das Gründerpotenzial an ihrer Hochschule viel größer ist, als man annehmen könnte. „Bei einer Befragung haben wir herausgefunden, dass 18 Prozent unserer gut 3.800 Studierenden bereit wären, mit einem Start-up ins kalte Wasser zu springen. Also sollten wir diese jungen Menschen fördern.“ Gemeinsam mit Wolfram Höpken, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule und Leiter des Instituts für Digitalen Wandel (IDW), klopft sie studentische Ideen auf ihr Potenzial und den Kundennutzen ab und hilft in Sachen Businessplan, Vernetzung und Vertrieb. Da geht es um einen sprechenden Roboter, um künstliche Intelligenz oder um die komplette 3-D-Abbildung eines menschlichen Körpers. Dieser wird in einer Art Jurte von gleich 78 Kameras fotografiert, die rundherum an den Zeltwänden angeordnet sind. Aus dieser 3-D-Abbildung kann man sich einen Avatar fertigen, der dann beispielsweise lebensecht in einem Computerspiel auftreten könnte. „Wenn ich mich also hier fotografieren lasse, sieht der Avatar aus wie ich“, sagt Höpken. Gute und sicher besondere Ideen, „aber erfahrungsgemäß sind Forscher*innen nicht unbedingt Verkäufer*innen“, so Höpken, „und dann müssen wir sie vom reinen Tüfteln behutsam wegbringen in einen lebendigen Austausch und eine Vernetzung.“ Vernetzung, neudeutsch Networking, ist ein ganz großes Thema, wenn es um Start-ups geht. Und eine Meisterin des Networking ist Miriam Schuster, Chief Marketing Officer im Startup Netzwerk Bodensee mit Sitz in Konstanz.
Ein Umfeld voller Möglichkeiten
Das dreiköpfige Team von Startup Netzwerk Bodensee begleitet seit 2017 nachhaltiges Unternehmertum in und für die Bodenseeregion. „Unsere große Vision ist es, dass Gründer*innen ihren Erfolg nicht nur am Gewinn, sondern vor allem an ihrem gesellschaftlichen Beitrag messen“, erklärt Schuster. „Wir sind hier in der Bodenseeregion bei Gründungen und in den folgenden Phasen Sparringspartner, vermitteln Kontakte und sorgen für einen regen Austausch zwischen Start-ups, Dienstleistern, Unternehmen und Institutionen.“ Denn, so Schuster, natürlich sei die Region in Sachen Start-ups nicht mit Metropolen wie Berlin vergleichbar. Aber verstecken müsste sich hier auch keiner und es gebe reichlich innovative Ideen. Dazu kommen etliche Unternehmen, die durchaus an den Projekten der Start-ups interessiert sind und finanziell unterstützen oder Gründer*innen mit Know-how zur Seite stehen.
Werbeanzeige
Wer also eine gute Geschäftsidee hat, ist bei Miriam Schuster richtig. Nur nachhaltig muss die Idee sein: „Wir wollen uns vom Turbo-Wirtschaften abkehren – ohne die finanzielle Tragfähigkeit aus den Augen zu verlieren. Wir möchten dazu anregen, den Begriff ‚Start-up‘ zu überdenken und ihn im Sinne eines nachhaltigen Unternehmertums wieder zu beleben. Wer hier mit uns in einem Boot ist, dem eröffnet sich dann mit unserer Unterstützung ein Umfeld voller Möglichkeiten.“ Das Startup Netzwerk Bodensee erforscht die Grundmotivation des möglichen Start-ups, hilft bei der Beschaffung von Finanzmitteln, lädt regelmäßig zu Gründer*innentreffen ein, zu ‚Start-up Lounges‘, und bleibt auch nach Markteintritt, während Wachstum und Konsolidierung des Unternehmens Gesprächspartner. Einer dieser Partner, mit denen das Startup Netzwerk bis heute im Gespräch ist, ist das 2015 gegründete Start-up karuun aus Kißlegg im Allgäu.
„Das Wort karuun wird abgeleitet vom indo-malayischen Ausdruck ‚harta karun‘ und bedeutet ‚versteckter Schatz‘“, erklärt Fabian Schiller. Er ist Marketing Director bei karuun und will mit seinem Team die Welt des Industriedesigns nachhaltig verändern und Kunststoff mit dem sogenannten Nature Tech Material ersetzen. Der Schatz heißt schlicht „Rattan“ und wird aus der Rotangpalme gewonnen. Eigentlich nichts Besonderes, denn Rattan wird seit Jahrhunderten verarbeitet, beispielsweise zu den bekannten und früher beliebten Möbeln. Wiederentdeckt wurde der Werkstoff von Julian Reuter aus Kißlegg, einem leidenschaftlichen Wellenreiter. Surfen, das geht hervorragend an Indonesiens Küsten. Und hier wächst auch die Rotangpalme als nachwachsender Rohstoff im Dschungel. Reuter erkannte, dass die Kapillarenstruktur im Inneren der Palme durchgehend ist. So wird der Naturwerkstoff ungemein form- und vielfältig einsetzbar. Peter Kraft kam dazu und die beiden verwirklichten mit karuun Projekte mit Rattan, die Ökologie, Design, soziale Kriterien und Wirtschaftlichkeit verbinden. 2015 gründeten sie die out for space GmbH für die Herstellung von karuun. „Bei der Gründung ging es natürlich auch um Investitionen und Kredite. Und die Banken wollten konkrete Gegenwerte für ihr Investment sehen. Also fingen wir an, Möbel aus Rattan herzustellen, gingen auf große Möbelmessen, präsentierten unser Produkt und fanden viele Interessenten.“ Dazu gehörte beispielsweise die Designabteilung des chinesischen Elektroautoherstellers NIO. „Gemeinsam kamen wir im Gespräch auf die Idee, dass wir mit unserem Werkstoff auch das Interieur für Autos gestalten könnten.“ Gesagt, getan, fünf Jahre Vorbereitungszeit später ist das Unternehmen mit karuun stripe Pionier bei natürlichen Alternativen zu künstlichen Oberflächen. Besonders im Automotive- und Transportation-Bereich wird heute das Nature Tech Material für hochwertige Serien eingesetzt.
2022 sind hier in Kißlegg zwölf Personen damit beschäftigt, sich über grüne Mobilität, Kunststoffalternativen für Produkte sowie nachhaltige Architektur Gedanken zu machen. Ein Ziel ist es, mit Rattan das althergebrachte Plastik als Werkstoff zu ersetzen. „So langsam verdienen wir auch Geld mit unseren Ideen und haben immer noch Lust, Neues auszuprobieren“, sagt Fabian Schiller. Wie man Ideen sinnvoll einsetzt, um ein eigenes Geschäftsmodell zu verwirklichen, damit kennt sich auch Jürgen Kuhn hervorragend aus.
Wer Kompetenz, Mut, Kraft und Spaß mitbringt, ist auf jeden Fall auf dem richtigen Weg.
Jürgen Kuhn
Referent für Gründung, Finanzierung und Unternehmensnachfolge IHK
© IHK Bodensee Oberschwaben
Personen optimal vorbereiten
Jürgen Kuhn ist seit gut 20 Jahren Referent für Gründung, Finanzierung und Unternehmensnachfolge bei der IHK Bodensee-Oberschwaben und war im vorherigen Leben Banker. „Das hilft natürlich, wenn Gründer*innen ein Gegenüber haben, das sich mit Geld auskennt“, sagt er. In seiner Zeit bei der IHK hat er geschätzt 8.500 potenzielle Gründer*innen beraten. Potenzielle, denn nicht jeder Mensch und nicht jede Idee ist gründungstauglich. „Wir bieten den Interessent*innen in Seminaren und Workshops die Chance, intensiv über die Geschäftsidee nachzudenken bis hin zur Erstellung eines Businessplans. Denn ohne Zahlenwerk sollte niemand beginnen.“ Aber wer das geschafft habe, renne offene Türen ein. „Dazu gehören eher klassische Unternehmensgründer*innen, die vielleicht sanft im Nebenerwerb mit ihrer Idee starten und sich nach zwei bis drei Jahren trauen, den nächsten Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen.“ Er ist viel draußen unterwegs, von Gammertingen bis Friedrichshafen und von Weingarten bis Isny im Allgäu, organisiert Vorträge, Gründer- und Unternehmertage wie „Start-up trifft Mittelstand“. Kuhn ist immer auf der Suche nach mutigen Menschen mit guten Ideen: „Jedes Vorhaben ist einzigartig, so berate ich auch. Wer Kompetenz, Mut, Kraft und Spaß mitbringt, ist auf jeden Fall auf dem richtigen Weg. Und, das versichere ich Ihnen: In der Region gibt es viele interessante Ideen.“
Mut wird belohnt
Wer also hier in der Region eine richtig gute Idee hat, muss nicht in die Ferne schweifen. Sei es der Sprung in die Soloselbstständigkeit, die Weiterentwicklung eines studentischen Innovationsprojekts oder der Mut, aus einer nachhaltigen Idee, die beim Surfurlaub in Indonesien entsteht, ein Start-up zu machen – alles ist möglich und Anlaufstellen sowie Netzwerker*innen gibt es reichlich. Auf geht’s!